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Indien: Hindutva-Ideologe mit Sendungsbewusstsein

Nach den indischen Parlamentswahlen bleibt Premierminister Narendra Modi im Amt. Obwohl seine Koalition Sitze verliert, wird er seinen hindunationalistischen Kurs fortsetzen.
Narendra Modi bleibt Regierungschef in Indien
Foto: IMAGO/Sanjay Kanojia (www.imago-images.de) | Trotz Stimmenverlusten bleibt Modi Regierungschef und wird seine Strategie der Hinduisierung Indiens fortsetzen.

Am 4. Juni endeten die mehr als sechswöchigen Parlamentswahlen in Indien. Nach aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen ist Indien mit rund 1,43 Milliarden Menschen mittlerweile das bevölkerungsreichste Land der Erde. Angesichts der Bevölkerungszahl und der Größe des Landes gleicht jede Wahl einer Herkulesaufgabe. Ein demokratisches Gütesiegel ist Indien nicht auszustellen, dennoch: eine Wahl in der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt zu organisieren und sicher durchzuführen verdient bereits Anerkennung; trotz demokratischer Schwächen im politischen System und mancher Verfehlung und Unzulänglichkeiten bei der Wahl.

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Zur Wahl  des Lok Sabha, des Unterhauses im parlamentarischen Zwei-Kammer-System Indiens, hatten sich etwa 968 Millionen Inder registrieren lassen. Am Ende haben rund 642 Millionen Menschen, etwas mehr als 66 Prozent der Wahlberechtigten, in einer Direktwahl über die 543 neu zu wählenden Abgeordneten abgestimmt.

Regierungspartei BJP gewinnt trotz Stimmverluste

Bei der Wahl standen sich sich zwei Parteienbündnisse gegenüber. Auf der einen Seite stand die „Nationale Demokratische Allianz“ (NDA) unter der Führung der hindunationalistischen „Bharatiya Janata Partei“ (BJP). Auf der anderen Seite die „Indische Nationale Entwicklungsallianz“ (INDIA), ein Zusammenschluss von 26 Mitte-Links-Parteien. Die INDIA wurde als Wahlbündnis gegen die NDA erst im Vorjahr gegründet. Als Sieger ging die NDA hervor, die 293 der Mandate errang; die INDIA gewann 236 Sitze. Die BJP, die Partei des amtierenden Premierministers Narendra Modi, wird mit 44,2 Prozent mit deutlichem Abstand die größte Fraktion im neuen Parlament sein. Der linksliberale, säkulare „Indische Nationalkongress“, der das linke Parteienbündnis in die Wahl führte und die über Jahrzehnte dominierende Partei Indiens war, konnte seine Sitze zwar annähernd verdoppeln, erreichte insgesamt aber nur 18,2 Prozent der Mandate.

Premierminister Narendra Modi ist sowohl Wahlsieger als auch Wahlverlierer: Trotz des Wahlsiegs sind die Parlamentswahlen im Ergebnis ein Rückschlag für die Regierungspartei BJP. Bei der vorherigen Wahl hatte die BIP noch 55,8 Prozent der Sitze gewonnen und verfügte über eine eigene parlamentarische Mehrheit. Als Wahlziel hatten sich Modi und die BJP daher die parlamentarische Zweidrittelmehrheit gesetzt. Bei den aktuellen Wahlen büßte die BJP jedoch 63 Sitze ein und erreicht nur noch 240 Mandate. In der neuen Legislaturperiode ist sie rechnerisch nun auf ihre Bündnispartner angewiesen. Mit dem Verlust ihrer eigenen Mehrheit hat sie ihr Wahlziel klar verfehlt. Die politische Beinfreiheit ist für die BJP und ihren Anführer Modi dadurch kleiner geworden.

Modi ist seit 2013 Regierungschef seines Landes und seit 2014 zugleich Führer (leader) des Unterhauses. Er hatte sich zum zweiten Mal zur Wiederwahl gestellt. Modi ist vor allem im westlichen Ausland wegen seines als überborden empfundenen Hindu-Nationalismus umstritten. Immer wieder verbindet und vermischt Narendra Modi politische Positionen mit religiösem Gehabe, das im multiethnischen Indien als hindunationalistisches Dominanzgebaren gegenüber religiösen Minderheiten empfunden wird. Zu Beginn des Wahlkampfs zog er wieder einmal die hindunationalistische Karte: In Ayodhya wohnte er einer Tempelweihe für den hinduistischen Gott Ram bei. Nicht zum ersten Mal stand Modi einer hinduistischen Liturgie mehr oder minder vor und mimte den Zelebranten. In seiner Rede im Anschluss an die Zeremonie streifte er die komplizierte und umstrittene Geschichte des Tempelortes nur am Rande, und mit euphemistischen Worten. Mit der Errichtung des hinduistischen Heiligtums habe ,,das Land sich von den Fesseln der Sklaverei befreit“, so Modis antikolonialistische Anleihen. Der Tempel sei ,,ein Symbol für Frieden, Geduld, Harmonie und die Integration des Landes“.

An Ort und Stelle, wo der mythische Geburtsort des Gottes Ram gewesen sein soll und es einen alten hinduistischen Tempel gegeben habe, stand jahrhundertelang die Babri-Moschee, die 1992 von einem hindunationalistischen Mob zerstört worden war. Ayodhya liegt im bevölkerungsreichsten, im Norden Indiens gelegenen Bundesstaat Uttar Pradesh, wo mit annähernd 20 Prozent die meisten indischen Muslime leben. In Folge der Zerstörung der Moschee war es zu landesweiten Protesten und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen gekommen, bei denen rund 2.000 Menschen zu Tode kamen. An den Unruhen im Bundesstaat Gujarat, in dem Modi Anfang der 2000er Jahre Regierungschef war, schreibt man ihm eine Mitschuld an den Ausschreitungen zu. Er habe während der Unruhen zu zögerlich reagiert und die Gewalt – vor allem gegen Muslime – hingenommen.

Modis Ideologie gegen Christen und Muslime

Im Laufe des Wahlkampfs mehrten sich Narendra Modis antikolonialistische Töne und antimuslimische Ressentiments. Zugleich betonte er besonders deutlich seine geistigen und spirituellen Wurzeln im Hinduismus. Nur wenige Tage vor dem Abschluss der Wahl verstieg er sich gar zu der Aussage: „Ich bin überzeugt, dass Paramatma (Gott) mich zu einem bestimmten Zweck gesandt hat. Wenn dieser Zweck erreicht ist, ist meine Arbeit getan. Deshalb habe ich mich ganz Gott verschrieben.“

Modis hindunationalistisches Gebaren lässt sich nicht als Taktik oder überzogene Wahlkampf-Rhetorik abtun. Er war viele Jahre hauptamtlicher Funktionär der Bewegung „Rashtriya Swayamsevak Sangh“ (RSS), die als radikal-hindunationalistisch und als Vorfeldorganisation der BJP gilt. Die RSS hängt der Denkrichtung des Hindutva an, einer Spielart des indischen Nationalismus, die während der Unabhängigkeitsbewegung gegen die britische Kolonialherrschaft entstanden ist.

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Die Hindutva-Ideologie vereinigt politische Ziele und nationalistische Programmatik mit religiösen Wertvorstellungen und Identitätsbezügen zum Hinduismus. Nicht selten trägt die Hindutva-Ideologie gegen religiöse und nationale Minderheiten gerichtete chauvinistische Züge. Vor allem ge-gen Gläubige der Religionen, die als ursprünglich nicht in Indien beheimatet gelten, also gegen Christentum und Islam. Die Hindutva-Ideologie ist Modis politische Programmatik und die seiner Partei, auch wenn sie in einem multiethnisch und religiös vielfältig geprägten Land wie Indien viele Menschen ausgrenzt. Mit dieser Politik konnte Modi sehr viele Menschen mobilisieren und in zahlreichen Wahlen große Erfolge erzielt.

Für viele politische Beobachter kam der Ausgang der diesjährigen Parlamentswahlen doch unerwartet. Der Wahlkampf der BJP war ganz auf Modi zugeschnitten und stark personalisiert. Der Stimmen- und Sitzverlust seiner Partei war daher Modis persönliche Niederlage. Innerhalb seiner Partei ist er noch unumstritten. Trotz des Misserfolgs bei den Wahlen bleibt Modi Regierungschef seines Landes. In den ersten Sondierungen nach der Wahl haben sich die Parteivorsitzenden der NDA zügig darauf verständigt, die bestehende Regierungskoalition unter seiner Führung fortsetzen zu wollen. Indiens Präsidentin, Modis Parteifreundin Droupadi Murmu, beauftragte daraufhin Modi mit der Regierungsbildung. Bereits am Sonntagabend, fünf Tage nachdem die Wahlergebnisse bekannt gegeben worden worden, legte Modi seinen Amtseid ab.

Hindunationalismus spaltet das multikulturelle Land

Modi wird in den kommenden fünf Jahren neue Akzente setzen müssen, um weiter an der Macht bleiben zu können. Die BJP hat in ihren Stammlanden deutlich Wähler verloren. Der wirtschaftliche Erfolg Indiens in den vergangenen Jahren hat die großen Armutsprobleme  und die prekären Lebens- und Erwerbsumstände noch nicht beseitigt. Der Hindu-Nationalismus scheint weniger zu verfangen als in den vorangegangen Jahren. Selbst der Parlamentssitz, der der  Stadt Ayodhya mit dem Ram-Tempel zugerechnet wird, mit dessen Weihe Modi so symbolträchtig seinen Wahlkampf eröffnet hatte, ging der BJP nun verloren.

Modi muss das Land mit seinen divergierenden Kräften jetzt zusammenhalten. Mit der Fortsetzung seiner hindunationalistischen Politik und einer vorwiegend auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftspolitik nähme die Polarisierung der zurückliegenden Jahre in Gesellschaft und Politik weiter zu. Die Zeit wird zeigen, ob Indien eine säkulare, multikulturelle Nation bleibt oder den Weg zu einer hindunationalistischen Theokratie beschreiten wird.

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