Giorgia Meloni hat es sich nicht nehmen lassen, auch den Papst zum G7-Gipfel in das apulische Borgo Egnazia einzuladen. Und so konnte Franziskus auf einen Schlag zahlreiche Spitzen-Gespräche führen – unter anderem mit den Präsidenten Joe Biden, Emmanuel Macron und Recep Tayyp Erdoğan, mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi und einem weiteren „Sondergast“: Wolodymyr Selenskyj. Auch wurde dem Papst die Ehre erwiesen, am vergangenen Freitag den Eröffnungsvortrag zu halten. Anders, als man vielleicht erwartet hätte, rief Franziskus nicht zum Frieden etwa in der Ukraine und im Gaza-Streifen auf – wie das zwei Tage später auf der Schweizer Ukraine-Konferenz Kardinal Pietro Parolin tun sollte –, sondern widmete sich in seinem ausgearbeiteten Redetext der Künstlichen Intelligenz (KI).
Denn es sei nicht daran zu zweifeln, sagte der Papst, dass „das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz eine wahrhaft kognitiv-industrielle Revolution darstellt, die zur Schaffung eines neuen Gesellschaftssystems beitragen wird“. So könnte KI beispielsweise eine Demokratisierung des Zugangs zu Wissen sowie den exponentiellen Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung leisten und es ermöglichen, ermüdende Arbeiten an Maschinen abzugeben. Zugleich könnte sie aber auch eine größere Ungerechtigkeit zwischen fortgeschrittenen und sich entwickelnden Nationen, zwischen herrschenden und unterdrückten sozialen Schichten mit sich bringen und so die Möglichkeit einer „Kultur der Begegnung“ zugunsten einer „Kultur der Wegwerfens“ gefährden.
Gefährlicher als die Erfindung des Messers
KI sei faszinierend und unheimlich zugleich, meinte Franziskus. „Als unsere Vorfahren Feuersteine schärften, um daraus Messer zu machen, benutzten sie diese, sowohl um Leder für Kleidung zuzuschneiden als auch um sich gegenseitig zu töten.“ Künstliche Intelligenz sei jedoch ein noch komplexeres Werkzeug. Bei deren fortgeschrittenen Formen könne „die ordnungsgemäße Nutzung weder von den Nutzern noch von den Programmierern, die den ursprünglichen Zweck der Programme zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung festgelegt haben, vollständig kontrolliert werden“. Zudem sei es sehr wahrscheinlich, „dass in nicht allzu ferner Zukunft Programme künstlicher Intelligenz in der Lage sein werden, direkt miteinander zu kommunizieren, um ihre Performance zu verbessern. Und wenn in der Vergangenheit die Menschen, die einfache Werkzeuge modellierten, sahen, wie diese ihre Existenz prägten – das Messer ermöglichte ihnen das Überleben in der Kälte, aber auch die Entwicklung der Kriegskunst –, so werden sie jetzt, da sie ein komplexes Werkzeug modelliert haben, sehen, wie dieses ihre Existenz noch mehr prägt“.
Die anwesenden Staats- und Regierungschefs rief der Papst dazu auf, alles dafür zu tun, dass Instrumente wie KI immer auf das Wohl jedes einzelnen Menschen ausgerichtet sind. „Sie bedürfen einer ethischen Ausrichtung“, mahnte Franziskus. Denn im Westen sei „eine Verdunkelung des Sinns für das Menschliche und eine scheinbare Bedeutungslosigkeit des Begriffes der Menschenwürde zu verzeichnen. Es scheint, als würde der Wert und die tiefe Bedeutsamkeit einer der grundlegenden Kategorien des Westens verloren gehen: die Kategorie der menschlichen Person“.
Franziskus rief in diesem Zusammenhang dazu auf, eine „gute Politik“ zu verfolgen, eine „gesunde Politik“: Gerade die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf die Zukunft der Menschheit „führen uns zu der Feststellung, wie wichtig eine ,gesunde Politik‘ ist, um mit Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft zu blicken“. Angesichts vieler Formen „armseliger Politik“, die auf das unmittelbare eigene Interesse ausgerichtet seien, zeige sich „politische Größe“, wenn man in schwierigen Momenten nach bedeutenden Grundsätzen handle „und dabei an das langfristige Gemeinwohl denkt“.
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