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„Gott arbeitet immer mit ganz normalen Leuten“

Gemeinden mit traditioneller Theologie und unkonventionellen Methoden von innen sanieren: „Divine Renovation“ verfolgt beim Gipfeltreffen der Pfarreien hohe Ziele.
Wo Nicole einst den Grand Prix Eurovision gewann, geht es nun um mehr als ein bisschen Frieden: Im Harrogate Convention Centre beten Teilnehmer der katholischen Gemeindeerneuerung „Divine Renovation“ um den Heiligen Geist.
Foto: TONI | Wo Nicole einst den Grand Prix Eurovision gewann, geht es nun um mehr als ein bisschen Frieden: Im Harrogate Convention Centre beten Teilnehmer der katholischen Gemeindeerneuerung „Divine Renovation“ um den Heiligen ...

„Gott ist gut“ schallt es von der Bühne des Harrogate Convention Centre. Das Auditorium antwortet prompt: „die ganze Zeit“. Dann drehen die Bässe auf, und die Teilnehmer des ersten katholischen Gipfeltreffens der Pfarreien stimmen in Lobpreislieder ein. Drei Tage lang bietet die Erneuerungsbewegung „Divine Renovation“ im nordenglischen Kurort Harrogate ihr ganzes didaktisches und geistliches Können auf: hochprofessionelle Videoclips, ein Musikrepertoire, das von Gregorianischem Choral bis Gospel reicht, charismatisch gestaltete Anbetungsstunden und Eucharistiefeiern sowie bewegende Glaubenszeugnisse. Knapp tausend Teilnehmer aus 72 Diözesen und 19 Ländern wollen mehr über die Erneuerung der Pfarrgemeinde erfahren. Unter ihnen sind elf Bischöfe, 140 Priester und 850 Dauerbesucher aus den Pfarreiteams; Tagesgäste nicht mitgerechnet.

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Für Hannah aus dem Divine-Renovation-Leitungsteam ähneln Pfarreien heute Inselgruppen, denen in der Flut der Zeit der Untergang droht. Die junge Engländerin zitiert den Konvertiten Gilbert K. Chesterton (1874-1936): „Die Christenheit ist mehrmals gestorben und wieder auferstanden; denn sie hat einen Gott, der den Weg aus dem Grab kennt.“ Dazu rät Hannah den Gläubigen,  ihre Insel zu verlassen und sich auf die Missionsreise zu begeben: „Wir gehören zur Schiffscrew, nicht zu den Inselbewohnern.“ Wohin die Reise geht, ist klar: „Jesus will, dass wir heilig werden. Wir sollen Freunde Jesu werden.“ Das Programm der Gemeindeerneuerung mit „Divine Renovation“ besteht aus mehreren Schritten: Gebet, eine gemeinsame Zielvorstellung entwickeln, eine konkrete Initiative für die Evangelisierung ins Leben rufen, ein Leitungsteam bilden, die Sonntagsmesse sorgfältig vor- und nachbereiten und schöpferische Muße zu pflegen.

„Bethsaida-Momente“

Unter den Lotsen der Evangelisierung nehmen die Alpha-Teams eine Spitzenstellung ein. In abendlichen Treffen machen sie Gottsucher in den Gemeinden mit biblischer Geschichte bekannt. Als konkretes Instrument für einen missionarischen Neuanfang in der Gemeinde kann der kanadische Pfarrer James Mallon und Begründer von „Divine Renovation“ auf eine lange Erfahrung mit Alpha verweisen. 87 Prozent der Pfarreien, die vorwiegend im angelsächsischen Sprachraum von seinen ehrenamtlichen Mitarbeitern geschult werden, arbeiten mit Alpha zusammen. Mit Nachdruck warnt Pfarrer Mallon vor Selbstverzwergung: Es gebe „Bethsaida-Momente“ in den Gemeinden, sagt er in Anspielung auf die Perikope von der Heilung des Blinden im Markusevangelium 8,  22-26. Die „postchristliche Lähmung“ lasse sich überwinden. Sein Appell gilt allen Gläubigen: „Gott arbeitet immer mit ganz normalen Leuten.“ Allerdings brauche es wenigstens sechs Jahre, um eine Gemeinde missionarisch in Bewegung zu bringen. Strukturen als solche würden nie eine Erneuerung bewirken. Auf den Geist, mit dem sie erfüllt würden, käme es an. Und der Geist will erbetet werden.

Dass das Gebet der Dreh- und Angelpunkt jeder Gemeindeerneuerung ist, bekräftigt Schwester Mary Magdalen von der Gemeinschaft Maria Stella Matutina, die noch in diesem Jahr eine Niederlassung in Senden im Münsterland gründen will. Für die gelernte Ärztin ist Gebet „keine Option, sondern der Herzschlag der Erneuerung“. Sie wirbt für Kontemplation: „Nichts kann die Stille ersetzen.“ Ihr selbst ist das Verweilen vor dem eucharistischen Herrn so kostbar geworden, dass sie dafür ihren Beruf als Klinikärztin aufgegeben hat. Jesus in der Gemeinschaft der Stella-Matutina-Schwestern nahe zu sein, bedeutet für sie die Erfüllung ihres Lebens.


Was auf das stille Gebet folgt, ist, wie der Londoner Pfarrer Stephen Langridge schmunzelnd gesteht, „verflixt schwierig“. Es gebe in jeder Gemeinde Gläubige, die Änderungen grundsätzlich ablehnten. Die Kunst der Erneuerung der Seelsorge besteht aus seiner Sicht im Perspektivwechsel, der den Blick von der bloßen Erhaltung der jährlich kleiner werdenden Schar der Kirchgänger auf die Fernstehenden weitet. Kommt die etablierte Herde in einer missionarischen Gemeinde zu kurz? Nein, lautet die Antwort des Geistlichen. Mission müsse in einer Pfarrei zur Norm werden. Doch dazu brauche es „eine Armee der Beter“. Mit Nachdruck appelliert er an die Eigenverantwortung der Gläubigen und ermutigt sie zur missionarischen Gewissenserforschung: „Wenn Sie am Ende des Jahres keinen Fernstehenden angesprochen und eingeladen haben, stimmt etwas nicht.“

Dass die Welt voll geistlich ausgehungerter Sinnsucher ist, zeigen die Zeugnisse. Die knapp 30-jährige Helena berichtet, wie sie nach jahrelanger zermürbender Sinnsuche, Experimenten in der Esoterikszene und einem Ausflug in den Buddhismus endlich zu Jesus gefunden hat. Auch Alex hat das Wirken des Heiligen Geistes in seinem Leben erfahren, als er während eines Spanienurlaubs die noch unvollendete Basilika Sagrada Familia in Barcelona besichtigte. Über Audioguide lauschte er der Beschreibung der Passion Christi und wurde davon sprichwörtlich überwältigt. Nach seiner Rückkehr nach England begann er, sonntags die Messe zu besuchen und beschloss schließlich, sich taufen zu lassen. 

Ganze Bandbreite der Konfessionen 

Bischof Patrick McKinney von Nottingham berichtet aus seiner Erfahrung als Pfarrer: Geringer Messbesuch dürfe einen Priester nicht davon abhalten, missionarisch aktiv zu werden. Es brauche nicht mehr als eine Handvoll engagierter Laien, um etwas zu bewegen. Und auch Erzbischof Zbignevs Stankevics von Riga ist davon überzeugt, dass in den Pfarreien mehr missionarisches Potenzial steckt als landläufig vermutet wird. Entschieden wendet er sich gegen die Vorstellung, die Zeit der Pfarrei sei vorbei. Von Johannes Paul II. sieht er sich in Christfideles laici (1988) in der missionarischen Bedeutung der Pfarrei bestätigt. Sein Ideal ist das Bild der Gemeinde, unter deren Dach viele Gemeinschaften Platz finden. 
Dazu passt die Bandbreite des konfessionsverschiedenen Auditoriums. Junge Geistliche in Talar und Saturno-Priesterhut sitzen neben leger gekleidete Mitgliedern der charismatischen Bewegung. Dass Gemeindeerneuerung keine dogmatische Spielwiese ist, zeigen die Eucharistiefeiern.

Mit britischer Höflichkeit werden nichtkatholische Messbesucher gebeten, vom Kommunionempfang Abstand zu nehmen und sich segnen zu lassen. Pfarrer Mallon weiß aus Erfahrung, dass dogmatische Lockerungsübungen nicht zum Erfolg führen. Im Gespräch mit dieser Zeitung äußert er sich überzeugt, dass die Erneuerung der Pfarrei innerhalb des lehramtlich verfassten Rahmens der Kirche möglich ist. Man konzentriere sich auf die Erneuerung der einzelnen Gemeinde: „Divine Renovation ist theologisch konservativ und methodisch liberal“. Das anvertraute Glaubensgut werde von Generation zu Generation tradiert, aber die Art und Weise, in der der Glaube vermittelt werde, erfordere ein Umdenken. Er ermutigt dazu, die Pfarrei als zentralen Ort der Mission in den Blick zu nehmen und der Verkündigung des Evangeliums Vorrang vor der Besitzstandswahrung einzuräumen. Man solle auch nach Evidenzen fragen: Wohin führe welche Reform? In Kanada habe die katholische Kirche zwar keinen leichten Stand, aber sie sei dennoch besser aufgestellt als die anglikanische Kirche, die de facto aussterbe. 

In England hat sie noch charismatische Vertreter wie Nicholas Gumbel, den Vater der Alphakurse. Der anglikanische Geistliche strebt für das Jahr 2033 an, dass jeder Bewohner seines Stadtviertels die frohe Botschaft gehört hat. Auch Pfarrer Mallon steckt sich hohe Ziele: Er hofft, dass das Harrogate Convention Centre im Jahr 2033 zu klein für das Treffen der Gemeindeerneuerung ist. „Wir treffen uns im Liverpooler Fußballstadion!“

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