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Benedikt XVI. und die Soziallehre

Zum 15. Jahrestag des Lehrschreibens „Caritas in veritate“ erörterte eine Budapester Konferenz die Soziallehre des deutschen Papstes.
Benedikt XVI. im deutschen Bundestag
Foto: imago stock&people | Programmatisch: Die Rede Benedikt XVI. im deutschen Bundestag 2013.

Die Enzyklika „Caritas in veritate“ wurde 2009 nach der Wirtschafts- und Finanzkrise veröffentlicht; sich den Fragen der Zeit zu stellen, war ein zentrales Anliegen für den Papst. Sie bleiben aktuell: Für zu viele, mahnte der Apostolische Nuntius in Ungarn, Erzbischof Michael Wallace Banach, seien ein hedonistischer Lebensstil und Gewinnmaximierung wichtiger geworden als soziale Gerechtigkeit. In seinem Grußwort wies er aber auch auf den grundlegenden Ton und Anspruch der Enzyklika hin: „Die Liebe in der Wahrheit wird zum Gesicht Christi; und in Christus wird sie zur Berufung für uns, unsere Mitmenschen in der Wahrheit seines Planes zu lieben. Er selbst ist ja die Wahrheit (vgl. Joh 14,6)“, zitierte der Nuntius Benedikt XVI.

András Jancsó, der Organisator der Konferenz, schilderte im Vorfeld im Gespräch mit dem „Magyar Kurír“ das Ziel der Tagung: „Wir möchten die Enzyklika aus theologischer, anthropologischer und politökonomischer Sicht vorstellen“. Jancsó zufolge, der sich in seiner Forschung mit dem politischen Werk von Benedikt XVI. und dessen Verhältnis zum Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde beschäftigt, wüssten nur wenige Menschen in Ungarn um die starke Meinung Joseph Ratzingers zu vielen Fragen der Gesellschaft und Politik. „Das ungarische Volk hat das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern immer richtig eingeschätzt“, zitierte der Vertreter der Ludovika-Universität für den öffentlichen Dienst aus einem Brief von Benedikt XVI. an den ungarischen Präsidenten zum 50. Jahrestag des Ungarn-Aufstands 1956. Die Ludovika-Universität, Ausbildungsort ungarischer Beamter und Offiziere, organisierte die Tagung zusammen mit der Katholischen Péter-Pázmany-Universität. Es sei bemerkenswert, welche Wertschätzung dem Werk des letzten Papstes in Budapest zuteilwürde und in welcher Reflexionstiefe es im Festsaal vor internationalem Fachpublikum und ungarischen Studenten diskutiert werde, bemerkte ein ausländischer Referent.

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Kardinal Péter Erdö, Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn, verband in seiner Einführung den Gegenstand der Enzyklika des Papstes – Wahrheit und Liebe – mit einem Gedanken an Joachim Meisner, dem 2017 verstorbenen Erzbischof von Köln: „Unser Wort zur Verkündigung des Evangeliums und unsere helfenden Hände müssen gleichermaßen weit reichen.“ Bleibe es bei Ersterem, sei man unglaubwürdig für die Menschen; beschränke man sich auf Werke der Nächstenliebe, unterscheide man sich nicht mehr von jeder beliebigen NGO.

Gegen einen Ökozentrismus

Den Hauptvortrag der Tagung hielt Giampaolo Crepaldi, emeritierter Erzbischof von Triest und langjähriger Berater von Benedikt XVI. Er wies darauf hin, dass die Enzyklika des Papstes die Idee einer Welt ohne Entwicklung verurteile; das Christentum sei „eine Religion des Logos und nicht des Mythos“. „Zuerst war der schöpferische Geist und erst dann wurde die Welt erschaffen.“ Die Einstellung, eine vermeintlich unberührte Natur für wichtiger zu halten als den Menschen führten zu einer neuen heidnischen oder pantheistischen Sichtweise.

Giampaolo Crepaldi verwies dabei auf die Ausführungen in der Enzyklika, wo es heißt: „Es muss so etwas wie eine richtig verstandene Ökologie des Menschen geben. Die Beschädigung der Natur hängt nämlich eng mit der Kultur zusammen, die das menschliche Zusammenleben gestaltet. Wenn in der Gesellschaft die ,Humanökologie‘ respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie.“

Der englische Theologe Aidan Nichols OP bemerkte, daran anschließend, in seinen Ausführungen über „Logos und Garten. Benedikt XVI. zur Öko-Theologie“, ein Ökozentrismus verkenne die besondere Stellung des Menschen. Auf der anderen Seite gebe es einen Zusammenhang zwischen der „Verwüstung der Schöpfung“ und den geistesgeschichtlichen Entwicklungen der Renaissance und der Aufklärung. Nichols konstatierte, viele Theologen hätten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Metaphysik verlassen und seien eine Romanze mit der Sprache der Sozialwissenschaften eingegangen, was die Aufmerksamkeit für das Wunder der Schöpfung vermindert habe.

Die Vielfalt der Themen, die „Caritas in veritate“ berührt, spiegelte sich in dem Programm der Tagung wider: Philipp Gabriel Renczes SJ, Dekan der Theologischen Fakultät der Gregoriana in Rom, verknüpfte das Umweltbewusstsein mit der Lehre von Schöpfung und Fall des Menschen; in den Ausführungen von Pietro Luca Azzaro, dem Herausgeber der italienischen Ausgabe der gesammelten Werke des letzten Papstes, ging es um die Rolle des heiligen Augustinus im sozialen und politischen Denken von Joseph Ratzinger.

Keine politische Instrumentalisierung

Der Theologe Tibor Görföl warnte angesichts des Umfangs des Werks vor der Gefahr des Missbrauchs durch die Verkürzung seiner Lehre und selektives Zitieren – auch von seinen Bewunderern. Karl Wallner OCist, seit 2016 Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich, sprach über praktische Erwägungen, wie ökologische Anliegen mit der Weltmission verbunden werden können. Der langjährige Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. im Stift Heiligenkreuz kritisierte außerdem zeitgenössische Tendenzen in Europa: Man zerstöre das Haus, das die Mutter Kirche aufgebaut habe und versuche es, durch eine konfuse Struktur zu ersetzen. Er betonte zugleich die nach wie vor tiefe Verwurzelung des Christentums: „Wenn man an einem atheistischen Europäer kratzt, kommt immer noch das Gold des Christentums zum Vorschein!“ Dies zeige sich etwa in der großen Hilfsbereitschaft für völlig fremde Menschen in anderen Teilen der Welt nach Naturkatastrophen.

Benedikt XVI. war in einer Homilie kurz vor seiner Wahl zum Papst auf die Tendenzen der Entchristlichung eingegangen: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt.“ Mariano Barbato legte in seinem Vortrag dar, dass sich die von Benedikt XVI. geschilderte „Diktatur des Relativismus“ aus zwei Bestandteilen zusammensetze: Sie leugne die Existenz von absoluter Wahrheit im Ganzen, während unantastbare Wahrheitsregime in Feldern eingeführt werden, in denen Relativismus der angemessene Zugang sei – etwa in der Politik – und auch Fortschritt in der Wissenschaft werde nur durch ständiges Testen von Wahrheitsansprüchen ermöglicht.

Der Passauer Professor für Politikwissenschaft, der gegenwärtig an der Andrássy Universität Budapest lehrt, setzte sich außerdem mit dem Problem der Autorität in der Soziallehre auseinander: So verlange die Kirche moralische Autorität über die gesamte Menschheit, nicht nur über Katholiken. Doch gleichzeitig beschränke sie sich auf eine minimale Rolle und verlange nur die Befolgung grundlegender moralischer Pflichten, während der Eingriff in Interaktionen zwischen Menschen vermieden werde. Die Enzyklika „Caritas in veritate“ ist für ihn vor diesem Hintergrund ein meisterhaftes Beispiel für die Balance, etwas Substantielles zu sagen und dennoch Raum für freie Entscheidungen zu lassen. Den Abschluss bildete eine Buchvorstellung. Es handelte sich dabei um den Konferenzband zur Tagung  zum 95. Geburtstags von Benedikt XVI. vor zwei Jahren; titelgebend war der Text „Christliche Orientierung in der pluralistischen Demokratie“. In dem Aufsatz von 1984 stellte Joseph Ratzinger die stets aktuelle Frage: „Wie kann Christentum, ohne sich politisch instrumentalisieren zu lassen und ohne umgekehrt das Politische für sich zu vereinnahmen, zu einer positiven Kraft für dieses werden?“

Der Autor ist Visiting Fellow am Deutsch-Ungarischen Institut für Europäische Zusammenarbeit des Mathias Corvinus Collegiums.

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