Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Wahlkampf in der Alpenrepublik

Österreichs schwarz-grüner Rosenkrieg

Österreichs Regierungspartner sind in den Wahlkampfmodus übergegangen: zunächst gegeneinander.
Bundeskanzler Karl Nehammer und die grüne Klimaschutz- und Umweltministerin Leonore Gewessler
Foto: IMAGO/photonews.at/Georges Schneider (www.imago-images.de) | So nahe stehen sich Bundeskanzler Karl Nehammer und die grüne Klimaschutz- und Umweltministerin Leonore Gewessler derzeit gar nicht, und so nahe werden sie sich nach der Wahl wohl auch nicht mehr kommen.

Österreichs schwarz-grüne Regierungskoalition erinnert nun an das Huhn, das geköpft wurde, aber noch einige Minuten weiter über den Hof rannte. Bundeskanzler Karl Nehammer, zugleich Nachfolger von Sebastian Kurz als ÖVP-Chef, möchte die bereits für tot erklärte Koalition noch bis zu den regulären Parlamentswahlen am 29. September am Laufen halten. Kein leichtes, vielleicht ein kopfloses Unterfangen, angesichts der Tatsache, dass mit dem letzten Rest an Vertrauen oft auch jede Kooperation in die Brüche zu gehen pflegt.

Lesen Sie auch:

Vordergründig geht es um die EU-Renaturierungsverordnung, der Österreichs grüne Umwelt-, Energie- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler in der Vorwoche in Luxemburg zustimmte, obwohl der größere Koalitionspartner ÖVP strikt dagegen war. Europapolitisch war das heikel, weil das EU-Gesetz ohne das österreichische Ja keine ausreichende Mehrheit gefunden hätte: Ohne Gewesslers Zustimmung wäre das zweite Kriterium für eine qualifizierte Mehrheit, nämlich das Ja von EU-Mitgliedstaaten, die zusammen mehr als 65 Prozent der Einwohner repräsentieren, knapp verfehlt worden.

Die grüne Ministerin verstößt gegen drei Spielregeln

Innenpolitisch war es jedoch heikel, weil die grüne Ministerin gegen drei Spielregeln verstieß: Sie ignorierte erstens das klare Nein des Bundeskanzlers und des ÖVP-Regierungspartners, zweitens eine ablehnende Stellungnahme der Länder, die bindend wäre, weil Umweltschutzagenden in Österreich Länderkompetenz sind, und drittens eine Stellungnahme des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt.

Natürlich hat die gewiefte Politikerin, die vor ihrem Einstieg bei den Grünen als Geschäftsführerin bei Global 2000 tätig war, dafür ihre Begründungen: Auch ÖVP-Minister hätten schon Alleingänge gemacht, sagt sie, die einheitliche Stellungnahme der Länder zähle nicht mehr, weil Wiens rote Stadt- und Landesregierung sich davon distanzierte, und der Verfassungsdienst werte oft so, wie es der ÖVP zupass komme. Doch jenseits rhetorischer Begründungen hat Leonore Gewessler ihre Gründe: Sie hat mit ihrer Zustimmung zur EU-Renaturierungsverordnung ihrer waidwunden Partei den Einstieg in den Wahlkampf freigeschossen. Sie hat bewiesen, dass die Grünen ihre Idee von Moral im Zweifel über das Kleinklein von Recht und Gesetz stellen. Sie hat dem schwarzen Koalitionspartner den Fehdehandschuh so laut ins Gesicht geschmettert, dass alles andere als ein umgehendes Duell im Morgengrauen nur noch als Feigheit der Kanzlerpartei gedeutet werden kann.

Kein vorzeitiges Ende der schwarz-grünen Koalition

Genau diese Logik jedoch wollte sich Bundeskanzler Karl Nehammer nicht aufzwingen lassen. Er schäumte zwar, Gewessler sei „nicht bevollmächtigt“ gewesen, habe sich eines Gesetzes- und des Vertrauensbruchs schuldig gemacht, und kündigte umgehend rechtliche Schritte an, und zwar gegen die Ministerin wie gegen ihr Votum. „Das Recht ist gebrochen worden, die Bundesverfassung wurde ignoriert, und auch der Koalitionsvertrag“, so Nehammer. Zum vorzeitigen Ende der schwarz-grünen Koalition wollte es Nehammer nicht kommen lassen, „weil es wichtig ist, dass dieses Land nicht im Chaos des freien Spiels der Kräfte versinkt“. Gemeint ist damit das freie Spiel der parlamentarischen Kräfte, also ein Missbrauch des Parlaments für den Wahlkampf der Parteien durch deren Fraktionen.

Solche Spiele gab es in Österreich immer wieder – zuletzt 2019 – und sie kamen den Staat (also den Steuerzahler) meist teuer. Was ist für wahlkämpfende Parteien näherliegend, als millionenschwere Wahlzuckerl ins Wahlvolk zu streuen? Das will Nehammer dem Steuerzahler ersparen beziehungsweise der bestehenden Koalition vorbehalten, und jedenfalls als amtierender Kanzler in die Wahl ziehen. Also spazierte der Bundeskanzler nicht über den Ballhausplatz, der das Kanzleramt und die Hofburg verbindet, wo der (übrigens grüne) Bundespräsident in kaiserlichem Ambiente residiert. Es kommt folglich weder zur Entlassung der Ministerin, der der Kanzler Amtsmissbrauch vorwirft, noch zur Auflösung des Parlaments.

Den Regierungspartner von der Bettkante geschubst

Stattdessen streiten die Regierungsparteien, als gäbe es keine Opposition. Gewessler wurde beim Grünen-Parteitag messianisch gefeiert; da perlen schwarze Rechtsgutachten wie Bedenken der Bauern, einer schwarzen Kernklientel, natürlich am grünen Rock ab. Die grüne Kernwählerschaft, der das Bündnis mit der ÖVP keineswegs immer nur Freude und Labsal war, interessiert weit weniger als die Experten (und Journalisten), ob Gewessler einen Rechtsbruch beging, weil sie die Länderstellungnahme ignorierte und kein Einvernehmen mit dem ÖVP-Agrarminister fand. Für sie ist der dreimonatige Wahlkampf eröffnet und die durchsetzungsstarke Ministerin, die den schwarzen Kanzler brüskierte, ist der Shootingstar. Umso mehr, als Gewessler im Gegensatz zu Grünen-Chef Werner Kogler stets betont nüchtern, sachlich, unpolemisch und freundlich agierte.

Jetzt endlich haben die Grünen ihrer ideologisch fiebernden Klientel etwas zu bieten: den trotzigen Widerstand einer grünen Ministerin gegen den Kanzler und seine gefühlt immer schon regierende ÖVP. Jetzt endlich, drei Monate vor der Wahl, können die Grünen ihrer frustrierten Wählerschaft erzählen, warum sie in diese ungeliebte Regierung gegangen sind: nicht für Posten und Pfründe, sondern um ideologisch durchzusetzen, was rechtlich undurchsetzbar war. Das könnte bei der grünen Zielgruppe ankommen und deren Abwanderung zu anderen Parteien bremsen. Insofern streiten die Grünen mit ihrem schwarzen Regierungspartner nicht, als ob es keine Opposition gäbe, sondern sie haben ihn von der Bettkante geschupst, weil es eine Opposition gibt.

Spätestens seit der Europawahl am 9. Juni wissen Schwarze und Grüne in Österreich, dass sie sich am Abend der Nationalratswahl, am 29. September, nicht mit Freudentränen in den Armen liegen werden. ÖVP und Grüne werden zusammen keine Mehrheit mehr haben, selbst wenn die Verluste – was unwahrscheinlich ist – geringer ausfallen sollten als bei der Europawahl. Die FPÖ dürfte die meisten Stimmen und Parlamentssitze erobern; die SPÖ hat zwar seit 2017 bewiesen, dass sie Opposition einfach nicht kann, doch gibt es auch keine überzeugenden Signale, dass sie sich selbst Regierungsverantwortung zutraut.

Es bleibt wohl nur eine Dreier-Koalition

Wenn alle an ihren Eiden festhalten, nicht mit der „Kickl-FPÖ“ zu koalieren, bleibt wohl nur eine Dreier-Koalition. Es sei denn, FPÖ-Chef Herbert Kickl verzichtet nach einem Wahltriumph auf Kanzleramt und Parteivorsitz, um seine FPÖ der ÖVP demütig vor die Füße zu legen. Doch selbst wenn wir hochsommerliche Hitze, festen Glauben an Spontanbekehrungen und spielerische Lust an Überraschungseffekten aller Art einkalkulieren, ist das eine höchst unwahrscheinliche Variante. Wahrscheinlicher ist, dass Herbert Kickl, der im Kontrast zu seinem Vorvorgänger Heinz Christian Strache intelligent sowie im Kontrast zu seinem Vorvorvorgänger Jörg Haider psychisch stabil scheint, das Kanzleramt fest im Blick hat. Er wird die taktischen Fehler seiner Vorgänger nicht wiederholen, also der ÖVP nicht den Steigbügelhalter machen. Wenn er den Kanzlerthron nicht erklimmen kann, obgleich seine FPÖ stimmenstärkste Partei wurde, wird er wohl auf Fundamentalopposition setzen und eine Regierungskoalition der Wahlverlierer vor sich hertreiben.

Was bleibt nun also der ÖVP, die seit 1987 in unterschiedlichen Farbenspielen in der Regierung sitzt, und sohin auch jeder Oppositionsrolle entwöhnt ist? Kaum darf sie auf die früher beliebte Variante einer „großen Koalition“ hoffen, also auf eine Koalition mit der SPÖ, die durch interne Führungs- und Richtungsstreitigkeiten geschwächt ist und eher Platz Drei entgegentorkelt. Da bräuchte es wohl einen dritten Partner, möglichst einen, der irgendetwas von Frische und Schwung signalisiert. Die Grünen sind es nach dem Trauerspiel der vergangenen Tage wohl nicht. Eher schon könnte eine zweitplatzierte ÖVP mit SPÖ plus den liberalen NEOS zu regieren versuchen. Dass die erstmals antretende Bierpartei einen feucht-fröhlichen Einzug ist Parlament schafft, ist angesichts des medialen Rückenwinds und des klingenden Namens natürlich auch nicht auszuschließen.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Stephan Baier Bundeskanzleramt Freiheitliche Partei Österreichs Herbert Kickl Jörg Haider SPÖ Sebastian Kurz Werner Kogler Österreichische Volkspartei

Weitere Artikel

Die FPÖ erringt erstmals bei einer bundesweiten Wahl Platz Eins und stellt den Kanzleranspruch. Die SPÖ verliert trotz Oppositionsrolle.
10.06.2024, 14 Uhr
Stephan Baier
Dubiose Wirtshausgespräche, Rücktrittsforderungen, Untersuchungsausschüsse: Österreich steht ein übler Wahlkampf bevor.
03.12.2023, 17 Uhr
Stephan Baier

Kirche

Der Statue im Linzer Mariendom, die eine gebärende Maria zeigt, wurde am Montag der Kopf abgesägt. Zuvor hatte die Darstellung für heftige Kritik gesorgt.
01.07.2024, 17 Uhr
Meldung
Auf dem Weg von Minnesota nach Illinois geht die große Eucharistische Prozession auch durch Armenviertel und Orte, die niemand kennt. Die Menschen interessieren sich und fragen nach.
01.07.2024, 11 Uhr
Kai Weiß
Wenn es keinen Synodalen Rat geben sollte, fehlt der Schlussstein und das deutsche Konstrukt wird in sich zusammenstürzen.
29.06.2024, 11 Uhr
Guido Horst