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Die Polizei hält nicht nur für die AfD den Kopf hin

In Essen dominiert bei der Hauptdemonstration das unpolitische Element verbunden mit diffuser Gutmenschen-Sehnsucht. Dennoch muss die Polizei linksextremistische Gewalt abwehren.
AfD-Bundesparteitag in Essen
Foto: (dpa) | Neben überwiegend friedlichen Demonstranten gab es bei der Haupt-Demonstration gegen den AfD-Parteitag in Essen auch linksextrem motivierte Gewalt.

Wenn das der Orbán wüsste: Auf dem Kirmesplatz hinter der Essener Grugahalle, dort wo sich am Samstag die Demonstranten gegen den AfD-Parteitag versammelt haben, lächelt einen Kaiser Franz Joseph an. „Gourmetkaiser“ steht auf der Imbissbude, an der ungarische Spezialitäten verkauft werden. Die Tatsache, dass die ungarische Regierungspartei Fidesz vielleicht bald mit der AfD im Europäischen Parlament eine gemeinsame Fraktion bildet - es scheint hier niemanden zu interessieren.

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Typisch für die Stimmungslage allgemein am Samstagnachmittag: Auf der Bühne spielt eine Ska-Band, das tanzende Publikum ist überschaubar, eher jung und aktivistisch, in der Menge weht eine MLPD-Fahne. Die meisten Menschen sind auf dem weiten Platz verteilt, Zuspruch finden die Imbissbuden und Bierstände. Vielleicht doch eher Kirmesstimmung als Politik-Veranstaltung? Ein bezeichnende Szene: Zwei junge Männer schwenken die Antifa-Fahne, direkt dahinter ein anderer junger Mann im Deutschlandtrikot (weiß, nicht pink). 

Die Mehrheit der Demonstranten waren keine Extremisten

Der Demonstrationszug, der sich am Samstagmorgen vom Essener Hauptbahnhof in Richtung Grugahalle bewegt hatte, spiegelte tatsächlich die Breite der Gesellschaft wider. Nicht politische Aktivisten dominieren das Bild, stattdessen viele „normale“ Bürger aus allen Altersklassen, auch viele Familien mit Kindern sind dabei. Entsprechend wirkt die ganze Veranstaltung aber auch latent unpolitisch: Die Sprüche auf den Plakaten („Keine Bratwurst für Nazis) laufen auf eine Botschaft hinaus: Die AfD sind die Bösen – wir sind dagegen, also die Guten.

In der Veranstaltung, das mag gerade die linksextremistischen Teilnehmer ärgern, spiegeln sich vor allem Gemeinschaftssehnsüchte wider. In einer Zeit, in der viele alte Gewissheiten nicht mehr zu gelten scheinen, bietet zumindest die Orientierung  auf einen klaren vermeintlichen Gegner eine neue Sicherheit. Etwa auf die Frage, was anständig sei, was nicht. Indem die AfD als Inbegriff der Unanständigkeit definiert wird, sind die Schlussfolgerungen klar. Dass die Demonstranten in ihren Gemeinschaftssehnsüchten wahrscheinlich mit den AfD-Delegierten beim Parteitag mehr verbindet als sie ahnen, es wäre ein spannendes Thema für Politikwissenschaftler und Soziologen. Doch Analyse ist nicht gefragt, es ist der Tag der Bekenntnisformeln und dann des fröhlichen Ausklangs.

Dennoch kam es zu Gewalt

Essen-Rüttenscheid befand sich seit Wochen in Panik. Die zahlreichen Einzelhändler in dem für Essener Verhältnisse eher hippen, zugleich aber auch bürgerlich geprägten Stadtteil, der als das Feier-Viertel der Ruhrmetropole gilt, hatten vorsorglich ihre Geschäfte dicht gemacht. Doch am Nachmittag ist von dieser Angst nichts mehr zu spüren. Die Außengastronomie ist gut gefüllt. In den Fenstern der Bewohner hängen teilweise Regenbogenflaggen, aber auch viele Deutschlandfahnen einträchtig nebeneinander. Von Ideologie ist nichts zu spüren, für viele Teilnehmer war die Groß-Demo wohl eher eine Art Vorglühen zum Deutschland-Spiel am Abend. 

Und doch: Der Tag war nicht frei von Gewalt. Ganz im Gegenteil. Am Ende sind es 28 verletzte Polizisten, wie die Essener Polizei am Samstagabend vermeldet. Vor allem bei den Sitzblockaden von Linksextremen, die am Samstagmorgen so verhindern wollten, dass die AFD-Delegierten die Halle betreten konnten, kam es zu gewaltsamen Zwischenfällen. Besonders krass: Polizisten, die einen Delegierten begleiteten, seien, wie die Polizei meldete, von 200 Personen attackiert worden. Ein Polizist sei dabei besonders schwer verletzt worden. Manuel Ostermann, 1. stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, schreibt dazu am Samstag in den sozialen Netzwerken: „Der linksradikale Mob zeigt erneut sein gewaltbereites Gesicht. Eine Schande, unsere Grundrechte derart zu missbrauchen. Wer Menschen bei einer Versammlung mit Absicht verletzt, verabschiedet sich aus dem demokratischen Diskurs.“

So bleibt eine zwiespältige Bilanz: Während die einen ihre „gute Gesinnung“ feiern, halten an den wirklich brenzligen Orten die Polizisten für den Rechtsstaat den Kopf hin.        

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