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Soziale Marktwirtschaft statt entfesselter Kapitalismus

Javier Milei ist mit der Hayek-Medaille geehrt worden. Aus Sicht der katholischen Soziallehre hat der Libertarismus des Argentiniers aber einen blinden Fleck, so Elmar Nass.
Der argentinische Präsident Javier Milei erhält am 22. Juni 2024 die Hayek-Medaille in Hamburg
Foto: IMAGO/Europa Press/ABACA (www.imago-images.de) | Milei vertritt kompromisslos freiheitliche Wirtschaftsideen. Letztere sind nicht an sich schlecht, bedürfen aber der sozialen Einhegung.

Wenn das kein Grund zur Freude ist! Zumindest für alle, die eine Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien und den schleichenden Siegeszug des Wohlfahrtsstaates leid sind: Als argentinischer Präsident verleiht der Preisträger Javier Milei der in Hamburg an ihn verliehenen Hayek-Medaille Glanz. Das erntet Zuspruch in liberalen und Widerspruch in linken Medien. Milei ist ein Konvertit. Als Ökonom lehrte er den Keynesianismus. Bis er auf Schwächen der Nachfrage-Theorie stieß und sich durch eine Schrift von Murray Rothbard umstimmen ließ. Seitdem versteht Milei sich als einen libertären, radikal liberalen Ökonomen, der nun in seinem Amt die Theorie in praktische Politik umsetzt.

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In Deutschland ist die Würdigung eines Libertären eine Provokation, gelten doch freiheitliche Wirtschaftsideen bis weit in die politische Mitte hinein als Ausgeburt des Kapitalismus und damit als unmoralisch. Christen haben keine Scheu vor ökonomischem Liberalismus. Schließlich sind Leistungsgedanke, Privateigentum, Unternehmertum oder Subsidiarität Schnittmengen. Die Freude am Libertären hat aber klare Grenzen. Dazu zählen etwa Ideen von Robert Nozik, der Einkommensteuer als Zwangsarbeit ablehnte. Oder die Einsicht Friedrich A. von Hayeks, dass Sozialtransfers an Bedürftige libertär nur als Duldungsprämie zur Minderung gesellschaftlichen Drohpotenzials begründbar seien.

Schwer Kranke etwa, von denen keine Bedrohung ausgeht, kämen nicht in den Genuss solidarischer Hilfe. Hayek erkannte die Inhumanität. Aus menschlicher Intuition, nicht aber aus libertärer Logik, forderte er Solidarität mit diesen Bedürftigen. Christliche Sozialethik kann diese Humanität gut begründen, wo libertäre Logik unmenschlich wird. Freuen wir uns also weniger am Libertären als vielmehr an einer Marktwirtschaft, die sozial, weil christlich begründet ist.


Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

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