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Balkanische Aussichten auf Gemeinwohl und Gerechtigkeit

Auf die totalitären Diktaturen folgten oligarchische oder plutokratische Diktaturen. Ungerechtigkeit und Ungleichheit wachsen stetig und unkontrolliert.
Schwarzes Meer / Bulgarien
Foto: IMAGO/xRnDmStx (www.imago-images.de) | Reizvoll ist es am Schwarzen Meer, wo die Konferenz von Renovabis und der Adenauer-Stiftung zu Religion und Politik und Sozialethik in Südosteuropa tagte. Weniger Reizvoll sind die Aussichten für den Balkan.

Wir sitzen am Schwarzen Meer in Bulgarien bei einer Konferenz von Renovabis und der Adenauer-Stiftung zu Religion und Politik und Sozialethik in Südosteuropa. Mein Platz ist zwischen einer Professorin für Soziologie an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia und einer Journalistin einer Online-Wochenzeitung aus Serbien.

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Zunächst höre ich aus Belgrad: Früher gab es in Osteuropa offene totalitäre Diktaturen, heute gibt es vielfach „spin-dictatorship“, wörtlich: geistige Diktaturen, mit manipulierten und gelenkten Informationen für die Menschen außerhalb der politischen Kaste. Was müsste sich ändern? Die Antwort: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Überhaupt spielt das Wort Freiheit eine große Rolle, sowohl in den Berichten aus verschiedenen Ländern Osteuropas wie auch in den Diskussionen.

Ungebremstes Eigeninteresse

Früher gab es kommunistische Diktaturen, heute oligarchische oder plutokratische Diktaturen, also die mehr oder minder gut verschleierte Herrschaft des Reichtums und der Korruption. Ähnlich die Soziologin aus Bulgarien: Das große Übel sei die stetig wachsende Ungleichheit und der völlige Ausfall von Chancengleichheit und auch von Umverteilung der produzierten Gewinne.

Kurz: Nicht das Gemeinwohl steht im Vordergrund, sondern das ungebremste Eigeninteresse. Und Parteien sind oft nur noch Lobby-Gruppen für private Interessen, dabei sollen sie doch politische Meinungsbildung ermöglichen und zwar mithilfe von unterschiedlichen Programmen, immer auf dem Boden von Personalität und Solidarität.

Dem Bösen wehren

Der Eindruck aber ist, nicht nur auf dem Balkan: Gerechtigkeit für jeden Bürger verschwindet mehr und mehr. Unwillkürlich muss ich an Hannah Arendt denken: „Im 3. Reich hatte das Böse die Eigenschaft verloren, an der die meisten Menschen es erkennen – es trat nicht mehr als Versuchung an sie heran“ (Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen). Der Staat soll ja nach traditioneller Auffassung der politischen Ethik seit Augustinus der Versuchung zum Bösen wehren, nicht aber der Räuberbande von wenigen Mächtigen ein Spielfeld des sich austobenden Egoismus bieten. Gerechtigkeit für jede Person schaffen. Fehlt diese Gerechtigkeit, dann gibt es laut Augustinus faktisch keinen Unterschied mehr zwischen Staat und Räuberbande.

Was wäre die Aufgabe der Kirche und ihrer Ethik?  In deutlicher Trennung vom Staat (und auch von der Nation) das eigentliche Common Good, das allen Menschen und Bürgern gemeinsame höchste Gut, nämlich die Ewigkeit der Liebe Gottes zu verkünden und (in der Liturgie und in den Sakramenten) darzustellen, zu vergegenwärtigen. Eucharistie als Vergegenwärtigung der Liebe Gottes!

Das allgemeine Wohl

Und von da aus könnte das eigentlich allgemeine Wohl jedes Menschen in den Blick kommen, das erst dem Sozialstaat den letzten Sinn und das letzte Ziel bietet: nicht Anhäufung von zeitlichem Wohlstand, sondern Entfaltung jeder Person und jeder unsterblichen Seele in ihren Talenten und von Gott geschenkten Fähigkeiten. Das ist die eigentliche Verantwortung des Staates als Vorraum der Ewigkeit: Einübung in Liebe und Verantwortung. Das allerdings ist in Europa nicht bloß auf dem Balkan die eigentliche sozialpolitische Herausforderung!

Peter Schallenberg
Foto: KNA | Peter Schallenberg ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät Paderborn.

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