Kennzeichnend für den Feminismus ist die strikte Trennlinie, die seit Simone de Beauvoir zwischen der Berufstätigkeit einer Frau und der Mutterschaft gezogen wird. Während erstere als lange erkämpftes non plus ultra eines Frauenlebens unbedingt anzustreben ist, steht man letzterer mindestens skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüber.
Wird eine Feministin selbst Mutter, kann sie in einen Zwiespalt geraten, umso mehr, wenn sie wie Shila Behjat Söhne erzieht. Schließlich beinhaltet der konsequente Einsatz für die Gleichstellung von Frauen neben einem weitverbreiteten Grundmisstrauen allem Männlichen gegenüber als Fernziel letztlich das Ende des dominierenden weißen Mannes. Wie Shila Behjat ihre innersten Überzeugungen mit der Erziehung von Söhnen, also künftigen Männern, in Einklang bringt und zu welchen neuen Erkenntnissen die Erfahrung, selbst Mutter zu sein, führt, berichtet die Autorin in Form eines Streitgesprächs mit sich selbst.
Kinderfürsorge bedeutungsvoller als der Job
Wenn die Journalistin und Publizistin mit deutsch-iranischen Wurzeln in diesem persönlichen und subjektiven Essay über Weiblichkeit, Feminismus und toxische Girl Power nachsinnt, fallen überraschend kritische Sätze. Die Dominanz der Männer sollte nicht einfach durch die der Frauen abgelöst werden, und der Feminismus sei „brutal instrumentalisiert“ worden, „als wir Frauen glauben machen wollten, dass ihre Freiheit und Selbstwertschätzung in einem bezahlten Beruf zu finden sind“.
Auf einer Konferenz über Equal Care und Equal Pay fragt sich Behjat mit einem Mal, wieso es immer noch darum gehe, Frauen das Recht auf eine bezahlte Arbeit zu erkämpfen und sie von „der Last der Kinderbetreuung“ zu befreien, die Position der Kinder dagegen überhaupt nicht vorkomme – die sich vielleicht vor allem Zeit mit ihren Eltern wünschen würden. „Kinder haben einen Anspruch auf einen Platz im Leben und eben nicht nur auf einen in der Kita“, so Behjat. Die eigentliche Entscheidung bei der Arbeit außerhalb der Familie falle für viele nicht zwischen Emanzipation und Abhängigkeit, sondern sei eine Entscheidung über „das, was tatsächlich begrenzt ist“, nämlich die Zeit. Und wenn in der öffentlichen Debatte Mutterschaft, Frau sein und Feminismus voneinander getrennt und abgekoppelt würden, wo bleibe „die viel beschworene Wahlfreiheit, Individualität, Lebensgestaltung der Einzelnen – ohne Stigma?“ Auch wenn sie es manches Mal ignorierte, ihr selbst habe die Fürsorge für ihre Kinder im Innersten „tatsächlich oft mehr bedeutet als viele Dinge im Job“, spricht Behjat wohl vielen Frauen aus dem Herzen.
Sie wünscht sich, Mütter als echte Kapazität zu verstehen, „weil sie die nächste Generation maßgeblich beeinflussen“. Dies gelte umso mehr für Mütter von Söhnen, „die einerseits als Ursprung des Problems gesehen werden, andererseits jedoch Teil der Lösung sind, sein müssen“. Als Feministin möchte Behjat ihre Söhne daher so erziehen, dass sie zu Männern werden, „die Dinge ändern“. Das jedoch beginne damit, „dass sie selbst Gerechtigkeit gelernt und erlebt haben und sie ihnen widerfahren ist“. Im Alltag aber, das stellt die Autorin wiederholt fest, werden Jungen pauschal Vorurteile entgegengebracht, die Männlichkeit an sich hat ein Imageproblem und es fehlt an alternativen Vorbildern. Die Lösung sieht Behjat darin, dass sich Frauen „mit als weiblich angesehenen Eigenschaften versöhnen – mit Mitgefühl, Fürsorge, Bescheidenheit“ und den Männern „diese Eigenschaften von nun an nicht mehr fremd bleiben“. Auf dem Weg dorthin gibt es noch viel zu tun – für Frauen und Männer, Mütter und Feministinnen.
Shila Behjat: Söhne großziehen als Feministin. Carl Hanser Verlag, München 2024, 200 Seiten, EUR 23,00
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