Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung „Sagen und Mythen“

Mit Abraham und Siegfried auf Brautschau

Anlässlich der Hochzeitssaison dreht sich in der Reihe „Sagen und Mythen“ alles um die Gunst des schönen Geschlechts.
Niebelungen-Denkmal
Foto: IMAGO / Volker Preußer | Majestätisch: Das Nibelungen-Denkmal im niederösterreichischen Tulln zeigt Kriemhilds Empfang durch König Etzel.

Juli und August sind nicht nur beliebte Hochzeitsmonate. In dieser Zeit finden zudem traditionell in Bayreuth die Richard-Wagner-Festspiele statt, bei denen auch in diesem Jahr der vollständige „Ring des Nibelungen“ auf dem Programm steht. Hierbei handelt es sich natürlich um eine rein kalendarische Koinzidenz. Diese verweist uns jedoch über das mittelhochdeutsche Nibelungenlied, dessen sich Richard Wagner mit umfangreichen Abweichungen bediente, auf ein menschliches Urthema, welches von jeher Sagen und Mythen in unterschiedlichsten kulturellen Kontexten inspirierte: das der Brautwerbung, genauer (und im Sinne der von der Literaturwissenschaft vorgenommenen Schematisierung) das der „gefährlichen Brautwerbung“.

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Diese steht uns im Nibelungenlied – lassen wir die spätere Werbung des Hunnen Etzel um die inzwischen bereits verwitwete Kriemhild außen vor – in doppelter und ineinander verschränkter Weise vor Augen. Zunächst ist es der Xantener Königssohn Siegfried, der nach dem Bestehen verschiedener Abenteuer, die ihn reich und (fast) unverwundbar gemacht haben, mit dem Ziel nach Worms zieht, am Hof der Burgunder um die ob ihrer Schönheit gerühmte Kriemhild zu werben.

Duell statt feine Diplomatie

Dafür wählt er nicht unbedingt den Weg der feinen Diplomatie, sondern fordert Kriemhilds Bruder Gunter zum Duell heraus, aus dem der Sieger als Herr über das Reich des anderen hervorgehen soll. Siegfried gelingt es jedoch, Gunter stattdessen von den Vorzügen seiner Gastfreundschaft zu überzeugen, sodass Siegfried fortan in Worms verkehrt und – neben Wettkämpfen am Hof sowie einem Krieg, in den er neben Gunther gegen die Sachsen zieht – das Herz Kriemhilds gewinnt.

Gunthers Einwilligung in eine Eheschließung knüpft dieser jedoch an Siegfried Beistand bei der eigenen Brautwerbung. Diese führt nach Island zu der vom Wormser begehrten Brünhild, die zwar gleichfalls ob ihrer Schönheit gerühmt wird, jedoch mit ihren Freiern recht rigoros verfährt: Gelingt es ihnen, die Begehrte im Wettkampf (Speer- und Steinweitwurf sowie Weitsprung) zu besiegen, winkt der Ehebund; gelingt dies nicht, zahlen sie mit ihrem Leben.

Bruch mit konventionellen Brautwerbungserzählungen

Es lohnt sich, in der Handlung zugunsten einer gattungsgeschichtlichen Anmerkung innezuhalten, denn hier liegt ein markanter Bruch mit konventionellen Brautwerbungserzählungen vor. Brünhild übernimmt nämlich die Funktion, die im Schema der gefährlichen Brautwerbung eigentlich für den Brautvater vorgesehen ist: dem Brautwerber Widerstand entgegenzusetzen und ihn dadurch zum Kampf zu zwingen. Dies gibt der Braut als weiblicher Handlungsträgerin eine Handlungsmacht, die im literaturgeschichtlichen Kontext des Nibelungenliedes als exzeptionell gelten darf.

Daraus ergibt sich – folgen wir nun wieder der Handlung – eine Herausforderung, der sich Gunther, dem Rat seines Onkels Hagen von Tronje folgend, nur gemeinsam mit der Kämpfer- und (nomen es omen) Siegernatur seines Begleiters stellen kann, der zudem noch über eine Tarnkappe verfügt, mit der er ungesehen an Gunthers Seite stehen und an seiner Statt kämpfen kann. Dafür verspricht er ihm gerne Kriemhild zur Frau. Der Plan geht auf: Brünhild unterliegt, und in Worms steht eine Doppelhochzeit an.

Gefesselt von der Braut

Damit kommt der Handlungsstrang der doppelten Brautwerbung im Nibelungenlied zu seinem Ende, wenngleich der in ihm angelegte Konflikt das weitere Geschehen bestimmt. Denn die Hochzeitsnacht verläuft für Gunther zunächst nicht wie geplant, sieht er sich doch alsbald durch die sich seinen Annäherungsversuchen widersetzende Gattin gefesselt und ihr nun doch unterlegen.

Neuerlich muss Siegfried herhalten, der die Tarnkappe anlegt, Brünhilds Widerstand bricht und sich dann – mit ihrem Ring und Gürtel als Trophäe – von dannen macht, bevor Gunther mit Brünhild die Ehe vollzieht. Jahre später wird Kriemhild dies Brünhild offenbaren, woraufhin Siegfried einer Intrige Hagens zur Wiederherstellung der Ehre Brünhilds zum Opfer fallen und am Ende doch sein Leben wird lassen müssen.

Um Bewährung und Anerkennung geht es bis heute

Vieles hat sich seither verändert. Nicht nur, dass solche Ehrenmorde in den zurückliegenden Jahrhunderten zwischen Worms und Island aus der Mode gekommen sind, auch die Brautwerbung ist ein weniger riskantes Unterfangen geworden. Dies hat seinen Grund gewiss nicht zuletzt darin, dass der Schluss einer Ehe heute – zur allseitigen Entlastung – eine Frage ist, die zwischen zwei Menschen (vor Gott) entschieden wird, und die weitestgehend losgelöst ist von Fragen des Stammeserhalts und politischer Herrschaft.

Dass sich der Mythos der Brautwerbung und die mit ihm verbundenen Sagen jedoch auch heute noch großer Popularität erfreuen, mag damit zusammenhängen, dass sie, wenn sie ihrer konkreten literarischen Gestalt und historischen Situiertheit entkleidet sind, auf etwas hinweisen und etwas zur Sprache bringen, was einer allgemeinmenschlichen Erfahrung entspricht: Dass jede – und somit auch die (post)moderne – Ehe beziehungsweise der zu ihr hin begangene Weg auch Aspekte der Bewährung und Anerkennung (meist auch im familiären Umfeld des Ehepartners) verfügt und sich vor Anfechtungen gestellt sehen kann, in denen es sich zu bewähren gilt.

Auch im Alten Testament wimmelt es von Brautpaaren

Und so tut es nicht Wunder, dass wir diesem Thema bereits im Alten Testament begegnen, für dessen Form- und Gattungsgeschichte Hermann Gunkel nicht von ungefähr die Kategorien Mythos, Sage und Märchen in Anschlag brachte. Mythen im Sinne von Geschichten über die Handlungen von Göttern konnte er natürlich im dem Monotheismus verpflichteten Bibeltext nicht identifizieren, jedoch zumindest eine Prägung des Stoffes durch das Mythische:

„Eine erstaunliche Fülle mythischen Stoffes aber ist uns bei den hebräischen Dichtern aus allen Zeiten überliefert; haben doch die Dichter aller Völker stets die altererbten, herrlichen Mythen geliebt. Und was für ein dankbarer Stoff sind diese altorientalischen Mythen mit ihren brennenden Farben und ihrer gewaltigen Leidenschaft! Ja, selbst Propheten haben trotz ihres entschiedenen Monotheismus, wenn sie nur ein Dichterherz im Leibe hatten, die heidnischen Stoffe nicht verschmäht!“ Daher sei, so schließt Gunkel diesen Gedankengang in seinem Buch „Die israelitische Literatur“, „die poetische Sprache im Hebräischen des Mythischen übervoll“.

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Nicht von ungefähr sind für die Erzeltern Isaak und Rebekka (Genesis 24) sowie Jakob und Lea beziehungsweise Rahel (Genesis 29) und auch für Moses und Zippora (Exodus 2) dann auch Brautwerbungsgeschichten überliefert. Allesamt stehen sie unter dem Vorzeichen der Sicherung der Volkwerdung und des Fortbestandes Israels. Diese Erzählungen sind zwar nicht im Sinne des für die mittelhochdeutsche Dichtung in Anschlag gebrachten Schemas als „gefährliche Brautwerbung“ zu klassifizieren. Jedoch spricht sich in ihnen gleichfalls das Moment der Bewährung aus.

Das härteste Los hat dabei Jakob gezogen, der sich zunächst für sieben Jahre beim Schwiegervater in spe verdingt, um die geliebte Rahel heiraten zu dürfen; da Laban ihm jedoch nach Ende der Frist ,nur‘ deren Schwester Lea geben will, muss er weitere sieben Jahre im Dienst bleiben um schließlich Rahel ehelichen zu können. Demgegenüber gibt Jethro dem Moses seine Tochter Zippora ohne explizite Werbung zur Frau, nachdem dieser ihr und ihren Schwestern zur Hilfe kam und die Schafe der Familie am Brunnen tränkte.

Rebekkas Handlungsmacht 

Treten die Frauen in diesen beiden Geschichten eher als Objekte der Aushandlung zwischen Bräutigam und Schwiegervater in Erscheinung, wird bei Rebekka eine stärkere – wenn auch nicht wie bei Kriemhild martialische – Handlungsmacht deutlich. Nicht nur, dass sie es ist, die hier Wasser zu trinken gibt, zunächst dem als Werber gesandten Knecht Abrahams und dann seinem Kamel. Auch ist sie diejenige, die sich dem Ansinnen ihrer Familie widersetzt, den Aufbruch zu der Familie ihres Bräutigams hinauszuzögern.

Nachdem diese die Zustimmung zu Eheschließung gegeben hatte, bringen Rebekkas Bruder und Mutter vor: „Das Mädchen soll noch einige Tage bei uns bleiben, etwa zehn Tage, dann mag sie sich auf die Reise begeben. Haltet mich nicht zurück, antwortete er [der Knecht Abrahams] ihnen, da der HERR meinen Weg gelingen ließ! So entlasst mich denn, dass ich zu meinem Herrn gehe! Sie entgegneten: Wir wollen das Mädchen rufen und es selbst fragen. Sie riefen Rebekka und fragten sie: Willst du mit diesem Mann ziehen? Ja, antwortete sie. Da ließen sie ihre Schwester Rebekka und ihre Amme mit dem Knecht Abrahams und seinen Leuten ziehen.“

Liebe als Kern des Ehebundes ist bei Nibelungenhelden nicht evident

Während uns die biblischen Brautpaare, trotz der von patriarchalen Gesellschaftsformen geprägten Riten der Eheanbahnung und -schließung, als sich in Liebe (untereinander und zu Gott) zugewandte Individuen erscheinen, ist das Moment der Liebe als Kern des Ehebundes bei den Nibelungenhelden so nicht evident. Hier gilt für die männlichen Brautwerber das Motto „dem Stärksten die Schönste“ – und letztlich bleibt auch Kriemhild diesem Wahlspruch in abgewandelter Form treu. Und so mag das tragische Moment der Nibelungen womöglich auch mit dem Fehlen dessen zusammenhängen, worauf Papst Franziskus in „Amoris laetitia“ verwies:

„Alles Gesagte reicht nicht aus, um das Evangelium von Ehe und Familie zum Ausdruck zu bringen, wenn wir nicht eigens darauf eingehen, von der Liebe zu sprechen. Denn wir können nicht zu einem Weg der Treue und der gegenseitigen Hingabe ermutigen, wenn wir nicht zum Wachstum, zur Festigung und zur Vertiefung der ehelichen und familiären Liebe anregen. Tatsächlich ist die Gnade des Ehesakramentes vor allem dazu bestimmt, ,die Liebe der Gatten zu vervollkommnen‘. Auch hier trifft zu: ,Wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts‘ (1 Kor 13,2-3).“

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