Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Leitartikel

Europa stellt rasch seine Weichen

Kiew wie Moskau dürfen sich darauf einstellen, dass die EU von ihrer Solidarität mit der Ukraine nicht abrückt. Dafür steht die neue Damen-Riege.
Die wohl künftige EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas mit Ursula von der Leyen
Foto: IMAGO/HATIM KAGHAT (www.imago-images.de) | Die Premierministerin von Estland, Kaja Kallas, soll den zeitweise überforderten Josep Borrell als EU-Außenbeauftragten ablösen, Ursula von der Leyen soll eine weitere Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin absolvieren.

Eine Schwächung, Lähmung, vielleicht gar Spaltung der Europäischen Union hatten sich manche Nationalisten und Putinisten von der Europawahl erhofft. Doch statt des allseits erwarteten Rechtsrucks kam ein Zusammenrücken. Außer bei den sogenannten Rechten: Warum auch sollten etwa polnische Nationalkonservative mit Putin-Fans oder NS-Verharmlosern in einer Fraktion sitzen wollen? Warum sollte Italiens überragende Wahlsiegerin, Giorgia Meloni, die zuhause den russophilen Rabauken Matteo Salvini domestizierte, sich auf EU-Ebene mit ebenso schwierigen Partnern herumärgern?

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Putins Krieg im Osten Europas hat eine blutrote Linie gezogen: Trotz aller ideologischen Differenzen rücken jene, die bereit sind, die Menschenrechte und die Freiheit zu verteidigen, zusammen. Übrig bleiben linke und rechte Appeasement-Illusionisten. Gewiss ließen sich in friedlicheren Zeiten nach anderen Kriterien Bündnisse formen und Allianzen schmieden, aber der Krieg ist nun einmal der Ernstfall und diktiert die Gebote der Stunde.

Sachkundige Putin-Gegnerin

Also wurden alle Weichen noch vor dem Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli gestellt: Als mandatsstärkste Fraktion nominierte die christdemokratische EVP die amtierende Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jeweils für eine zweite Amtszeit. Beides kommt Mitte Juli im Europäischen Parlament zur Abstimmung, nachdem sich die Regierungen der EU-Staaten auf eine zweite Amtszeit für von der Leyen einigten. Mit der Premierministerin von Estland, Kaja Kallas, die den zeitweise überforderten Josep Borrell als EU-Außenbeauftragten ablösen soll, betritt eine dritte starke Frau die EU-Bühne: Früher und klarer als viele andere hat Kallas die Bedrohung Europas durch Putin erkannt und benannt. „In einer Welt voller Gewalt wäre Pazifismus Selbstmord“, weiß die sachkundige Putin-Gegnerin, die in Estland sowjetische Denkmäler abreißen ließ und dafür von Russland zur Fahndung ausgeschrieben wurde.

Das weibliche EU-Führungstrio Metsola, von der Leyen, Kallas wird die bisherige Linie der EU in der Ukraine-Frage halten, unabhängig davon, wer am 5. November in den USA obsiegt. Das in dieser Woche beschlossene 14. EU-Sanktionspaket gegen Russland und die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sind dafür richtungsweisend, wenngleich eine EU-Vollmitgliedschaft der Ukraine in diesem Jahrzehnt kaum zu erreichen sein wird. Doch Kiew wie Moskau dürfen sich darauf einstellen, dass die EU von ihrer Solidarität mit der Ukraine nicht abrücken wird. Dem neuen Mann in der EU-Führungsriege, dem früheren Regierungschef Portugals, António Costa, der den tollpatschigen Charles Michel als Präsident des Europäischen Rates ablöst, kommt eher die Rolle eines Moderators der EU-Gipfel zu.

Orbán spielt weiter den Klassenrowdy

Weniger moderat legt der ungarische Regierungschef Viktor Orbán seine Rolle an: Neben dem ständigen Ratsvorsitz, der die EU-Gipfel managt, gibt es die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft, die nun ab 1. Juli bei Ungarn liegt. Mit Verbalinjurien gegen EVP-Chef Manfred Weber („Beelzebub“, „alter Feind und Übeltäter Ungarns“) und Ursula von der Leyen („kleine Ministrantin“) hat Orbán wohl selbst die Frage beantwortet, ob er seine Rolle als EU-Ratsvorsitzender staatsmännisch anzulegen gedenkt oder weiter den Klassenrowdy spielt. Schon vor der finalen Kür der Führungsriege sprach Orbán von einer „Koalition für Krieg und Migration“. Es geht also – leider – nicht nur um persönliche Animositäten, sondern um die politische Weichenstellung.

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