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Die Wutrede

Der Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Börsen AG, Theodor Weimer, hat seinem Ärger über die wirtschaftliche Entwicklung Luft gemacht.
Theodor Weimer
Foto: IMAGO/David Inderlied (www.imago-images.de) | Ein Freund der deutlichen Aussprache: Theodor Weimer.

 Er ist nicht irgendjemand in der deutschen Wirtschaft: Theodor Weimer ist Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Börsen AG. Beim Wirtschaftsbeirat Bayern, dem CSU-Pendant zum CDU-Wirtschaftsrat, machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube, sondern führte in einer Wutrede alles das an, was ihn an der aktuellen Lage in Deutschland stört. Seit einigen Tagen kursiert ein rund 17-minütiger Mitschnitt der Rede, die Veranstaltung fand schon im April statt, und geht in den sozialen Medien, wie man so sagt, viral. Am Mittwoch verzeichnete das Video bei YouTube innerhalb von vier Tagen rund 111  500 Aufrufe. Offenbar spricht Weimer vielen Bürgern aus dem Herzen. Kritik gab es aber natürlich auch ordentlich an Weimers Thesen. Doch der Reihe nach. Was hat er überhaupt gesagt?

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Er wolle den O-Ton der internationalen Investoren wiedergeben, mit denen er spreche, erklärte Weimer in der Rede. Diese fragten ihn fassungslos, wo denn eigentlich die deutschen Tugenden geblieben seien. Die Gespräche hätten mittlerweile eine fatalistischen Charakter. Sie investierten nur noch aus opportunistischen Gründen in Deutschland: „Ihr seid so günstig“, höre er. Weimers Schlussfolgerung: „Wir sind zum Ramschladen geworden.“ Deutschland sei „ökonomisch auf dem Weg zum Entwicklungsland“, sei eine „alte Ökonomie“, zum „Japan Europas“ geworden. Eine Ursache sieht er im mangelnden Glauben an Wachstum. „Ihr glaubt nicht mehr an Wachstum“, höre er immer wieder.

In den letzten 30 Jahren sei das Wachstum durch den Welthandel hervorgerufen worden, nun sei die technologische Entwicklung der Treiber. In Deutschland habe man dies aber verschlafen. Selbstredend rechnet Weimer auch mit der politischen Klasse ab, vor allem natürlich mit der Ampel-Regierung. Es fehle an einem „ordnungspolitischen Kompass“. Und überhaupt mangele es an politischer Führung. Zu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stellt er fest, zu Beginn sei er durchaus positiv von dem Grünen angetan gewesen. Denn der Minister habe zugehört. Doch nun sei dessen Umfeld zunehmend ideologisch geprägt: „ Ich hatte inzwischen mein 18. Treffen mit unserem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck hinter mir, und ich kann Ihnen sagen, es ist eine schiere Katastrophe.“

Auf die Rede folgte massive Kritik

 Und dann folgte die Kritik: Die Rede sei zu oberflächlich und widersprüchlich, so Andreas Kröner in einem Kommentar für das „Handelsblatt“. Grundsätzlich sei es ja gut, wenn jemand wie Weimer den Finger in die Wunde lege. Aber mit einer Kritik, die so vorgetragen werde, helfe er letztlich nicht bei einer wirklichen politischen Lösung der Probleme mit. Dass Weimer nun vor allem aus, wie der Kommentator schreibt, „rechten Kreisen“ Applaus erhalte, müsste diesen als „international angesehenen Konzernchef“ am meisten ärgern. Die Münchner „Süddeutsche Zeitung“ unterstellt Weimer gar ein „krudes Demokratie-Verständnis“. Mit so viel Aufmerksamkeit hatte Weimer sicher nicht für seine Thesen gerechnet. Er wollte, das macht  er bei seinen Ausführungen immer wieder deutlich, keinen wissenschaftlichen Vortrag halten. Weimer wollte ein Stimmungsbild zeichnen, und das möglichst unmittelbar. Gerade das erklärt auch den Erfolg in den sozialen Medien.  

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Sebastian Sasse Entwicklungsländer Robert Habeck

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