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Biden zerstört sich selbst

Nach der enttäuschenden TV-Debatte bewegt ganz Washington die Frage: Wird Biden seine Kandidatur zurückziehen? Medien, Spender und Parteimitglieder befürworten dies, sein engstes Umfeld stützt ihn.
Donald Trump und Joe Biden bei ihrem TV-Duell vergangene Woche
Foto: IMAGO/CNN (www.imago-images.de) | Selbst seine Anhänger waren von dem Auftritt entsetzt: Joe Biden (r.) im Fernsehduell gegen Donald Trump.

Ist es am Ende Familiensache? Nach Joe Bidens desaströsem Abschneiden in der TV-Debatte mit seinem Herausforderer Donald Trump in der vergangenen Woche könnten die Angehörigen des amtierenden Präsidenten den entscheidenden Faktor in der Frage darstellen, die derzeit ganz Washington in Atem hält: Wird Biden seine Präsidentschaftskandidatur zurückziehen? Die vorläufige Antwort: Es sieht nicht danach aus.

Übers Wochenende traf sich Biden mit einigen seiner engsten Familienmitglieder, unter ihnen die First Lady, Jill Biden, und sein Sohn Hunter, auf dem präsidentiellen Landsitz Camp David im Bundesstaat Maryland nahe der US-Hauptstadt. Von der Zusammenkunft, die schon lange vor dem Duell geplant war und daher wohl erst spontan zur „Krisensitzung“ avancierte, drang zwar kaum etwas an die Presse. Glaubt man den wenigen anonymen Quellen, so erhält Biden derzeit aus seinem innersten Zirkel jedoch großen Zuspruch in einer seiner schwersten politischen Phasen. Wegen 90 enttäuschender Minuten auf einer Bühne mit Donald Trump werde Biden nicht aus dem Rennen aussteigen, hieß es.

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Im Trump-Lager hatte man schon im Vorfeld der TV-Debatte geringe Erwartungen an das Abschneiden des amtierenden Präsidenten. Biden müsse es nur schaffen, vor laufender Kamera nicht tot umzufallen, und er habe gewonnen, argumentierten böse Zungen. Dazu kam es während des mit Spannung erwarteten Duells nicht. Joe Biden lebt. Ob das auch für seine politischen Ambitionen gilt, steht auf einem anderen Blatt. Biden ließ Sätze unvollendet, verlor immer wieder den Faden, sprach mit dünner, brüchiger Stimme. Und immer wieder sah man ihn mit offenem Mund und versteinertem Gesichtsausdruck vor sich hin starren – als wüsste er selbst gerade nicht so recht, wie ihm geschieht: Unterm Strich verlief sein Auftritt im Studio des Senders CNN in Atlanta verheerend, beinahe selbstzerstörerisch – und könnte einen Wendepunkt in diesem Wahlkampf markieren. Der aktuelle Amtsinhaber ging als unangefochtener Kandidat der Demokraten für eine weitere Amtszeit in die Debatte. 90 Minuten später sah er sich sogar innerhalb der eigenen Partei, von Großspendern und der linksliberalen Presse mit Rückzugsforderungen konfrontiert. Ob „Washington Post“, „New Yorker“ oder „New York Times“ – die progressiven Leitmedien waren sich in ihrem Fazit einig: Will Joe Biden seinem Land noch einmal einen Dienst erweisen, sollte er – trotz aller Verdienste – das Feld für einen jüngeren Kandidaten räumen.

Coaching im Camp David sollte Biden fit machen

Fast eine Woche hatte sich Biden mit seinem Wahlkampfteam in Camp David auf die Debatte vorbereitet. Das primäre Ziel seines Stabs: Den Präsidenten so fit zu bekommen, dass er Bedenken über sein fortgeschrittenes Alter und die Frage, ob er mit 81 Jahren noch für das herausfordernde Amt des US-Präsidenten geeignet sei, aus dem Weg räumen kann. Das ist Biden nicht gelungen. Er hat die schlimmsten Befürchtungen sogar noch verstärkt.

Auch wenn die Debatte eine Reihe aktueller Themenkomplexe behandelte, wie die Wirtschaft, die Abtreibungsgesetzgebung, die Kriege in der Ukraine und in Nahost sowie den Klimawandel, lieferten weder Trump noch Biden auf der inhaltlichen Ebene wesentlich neue Erkenntnisse. Dies ließ den Kontrast im Auftritt und in der Bühnenpräsenz zwischen den Kandidaten jedoch umso deutlicher zutage treten.

Als Biden gegen Ende des Duells von den Moderatoren die Möglichkeit erhielt, selbst Stellung zu nehmen, ob er nicht zu alt für das Präsidentenamt sei, ließ er die Chance mehr oder weniger ungenutzt verstreichen. Mit Blick auf Trump entgegnete er nur: „Dieser Typ ist drei Jahre jünger, aber viel weniger kompetent.“ Und man solle auf seine Leistungen als Präsident schauen. Danach wechselte er abrupt das Thema und sprach über die Mikrochips-Industrie.

Die Debatte, die auch geprägt war von zahlreichen persönlichen Angriffen, erreichte einen Tiefpunkt, als sich Trump und Biden darüber stritten, wer von ihnen der bessere Golfer sei. Trump warf Biden vor, einen Golfball „keine 50 Meter“ weit schlagen zu können – was Biden dazu veranlasste, mit seinem „Handicap“ als Vizepräsident zu prahlen. Es war eines der wenigen Wortgefechte an diesem Abend, da das Mikrofon ansonsten nur dann aktiviert wurde, wenn ein Kandidat auch offiziell seine Redezeit hatte. Auf diese Bedingung hatte das Biden-Lager gepocht, um zu verhindern, dass Trump dem Demokraten ständig ins Wort fallen konnte. Ein Fehler, wie sich letztlich herausstellte. Denn so wirkte Trump fokussiert, souverän, zuweilen fast staatsmännisch. Zwar erzählte er wie üblich zahlreiche Unwahrheiten und spitzte seine Behauptungen übertrieben zu. Ansonsten musste er aber wenig tun, da Biden sich quasi selbst vernichtete.

Das letzte Wort hat Biden selbst

Und so dämmert auch denjenigen, die Biden bislang stets verteidigt hatten, allmählich: Die These, dass Joe Biden die Wahl nicht gewinnen wird, ist nicht mehr allzu steil. 2020 mag er der geeignete Kandidat gewesen sein, um unter den besonderen Umständen der Covid-Pandemie eine weitere Amtszeit Trumps zu verhindern. Doch er ist nicht mehr derselbe wie vor vier Jahren. Man muss nicht jedes Social-Media-Video für bare Münze nehmen, das Bidens Pannen und Versprecher in verzerrtem Licht darstellt. Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Demokrat deutlich älter, schwächer, fahriger wirkt.

Das Problem nur: Das letzte Wort hat Biden selbst. Und der Präsident, der von Weggefährten manchmal auch als sehr stur und von sich selbst überzeugt beschrieben wird, wird kaum zum Rückzug zu bewegen sein. Tatsächlichen Einfluss auf ihn haben wohl nur seine engsten Angehörigen. Und die scheinen Biden, wie eingangs geschildert, eher in seiner Kandidatur zu bestärken. Dass er mit seinem Klammern ans Amt genau das befördern könnte, was er unbedingt verhindern möchte – eine zweite Amtszeit Trumps – scheint der Demokrat nicht zu sehen.

Daher herrscht im demokratischen Lager weiterhin große Nervosität. Offen als Kritiker seiner Kandidatur haben sich bislang jedoch die wenigsten geoutet; die meisten äußern ihre Zweifel hinter vorgehaltener Hand. Nachdem sich auch Schwergewichte wie Barack Obama, Hillary Clinton oder Nancy Pelosi hinter Biden stellten, sieht es derzeit nicht danach aus, als käme es zur offenen Rebellion.

Keiner wird auf Biden wetten

Und auch Biden selbst gab sich kämpferisch: „Wenn einen etwas umhaut, dann steht man wieder auf“, wiederholte er bei Wahlkampf-Events das Leitmotto seiner politischen Karriere. Neue Munition im Kampf gegen Trump lieferte ihm Anfang der Woche der Oberste Gerichtshof der USA. Trump genieße für seine Handlungen als Präsident zumindest teilweise Immunität gegen Strafverfolgung, urteilten die Richter – und sorgten so dafür, dass die weiteren Strafverfahren gegen den Ex-Präsidenten aufgrund seiner Versuche, das Wahlergebnis 2020 zu kippen, nicht mehr vor der Wahl im November beginnen können. In einer temperamentvollen Rede brachte Biden daraufhin zum Ausdruck, wie gefährlich das Urteil für die amerikanische Demokratie sei.

Ob er die innerparteiliche Kritik damit ersticken wird, bleibt abzuwarten. Entscheidend ist ohnehin, welcher Eindruck letztlich beim Wähler hängen bleibt. Darüber dürften bald die ersten Umfragen nach der TV-Debatte Aufschluss geben. Wetten auf einen Sieg Joe Bidens dürfte jedenfalls kaum jemand mehr abschließen. Die Buchmacher taxieren die Wahrscheinlichkeit aktuell nur noch auf noch gut 20 Prozent.

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