Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

Film „The Bikeriders“: Cowboys auf Feuerstühlen

Jeff Nichols' berührender Film „The Bikeriders“ lässt die 1960er-Jahre wieder aufleben und schildert gemeinsam mit großen Stars den Aufstieg und Fall einer Motorradgang.
Austin Butler („Elvis“, „Dune 2“) fährt einem beeindruckenden Starensemble voraus.
Foto: IMAGO/Supplied by LMK (www.imago-images.de) | Austin Butler („Elvis“, „Dune 2“) fährt einem beeindruckenden Starensemble voraus.

 Für den US-Autorenfilmer Jeff Nichols, der zuletzt 2016 mit seinen beiden Filmen „Midnight Special“ und „Loving“ im Kino zu einem beeindruckenden Doppelschlag ausholte, begann die Arbeit an seinem neuen Film „The Bikeriders“ mit dem Entdecken eines alten Bildbands über einen Motorradclub. Denn Mitte der 1960er-Jahre schloss sich der Fotojournalist Danny Lyon einer Biker-Gang an und erhielt durch seine Kameraarbeit und zahlreiche Interviews über mehrere Jahre intime Einblicke in das Leben einer Motorrad-Gang. In seinem 1968 erschienenen Bildband „The Bikeriders“ dokumentierte er in betörenden Schwarz-Weiß Bildern eine eigene Subkultur zwischen Rebellion, Bier und Benzin. 

Basierend auf einem legendären Fotoband

Lyon gelang es, Bilder von Außenseitern zu schießen, die in der Biker-Welt eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten fanden und im dröhnenden Sound ihrer Maschinen einen neuen „Way of Life“ sowie die vermeintliche Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen suchten. Dieser zeitgeschichtliche Bildband inspirierte Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols zu seinem gleichnamigen Film. In retrospektiven Episoden zeigt er ein unaufgeregt aufregendes Gesellschaftsporträt der USA in den Jahren von 1965 bis 1973, als sich die US-amerikanische Kultur grundlegend veränderte. Und obwohl in „The Bikeriders“ die Motorräder in rasanter Geschwindigkeit über die Leinwand brettern, ist der Film insgesamt eher ruhig erzählt.

Wenn die Mitglieder der „Chicago Vandels“ in machtvoller Formation durch den ländlichen Mittelwesten der USA brausen, besitzt das hinreichend kinetische Faszination, „dient aber auch als eine Art Meditation über Spiritualität und die Identitätssuche des Menschen, sowie seinen Wunsch nach Bedeutung und Zugehörigkeit zu etwas Größerem“, so erläutert es der Regisseur im Gespräch mit der „Tagespost“. Und der Regisseur ergänzt:  „Obwohl viele der Gang-Mitglieder durchweg bürgerliche Existenzen haben, inklusive Familien und Jobs, hängt ihre wahre Identität an ihren Motorrädern. In ihnen sehen sie die Erfüllung ihrer Sehnsüchte nach Freiheit und Unabhängigkeit.“ Interessant ist hierbei, dass Nichols den Zuschauern diese von rauen Männern dominierte Welt ausschließlich aus der Sicht einer weiblichen Figur präsentiert. Denn die fiktive, aber auf wahren Bildern beruhende Geschichte, wird uns aus der Perspektive von Kathy (Jodie Comer, „The Last Duel“) erzählt. Sie ist die Ehefrau des Vandels-Gründungsmitglieds und jungen Heißsporns Benny („Elvis“-Darsteller und „Dune: Part Two“-Bösewicht Austin Butler), der mit anarchischer Impulsivität keinem Ärger aus dem Weg geht. 

Dem tristen Dasein Abenteuer verleihen

Im Verlauf des Films berichtet Kathy dem Fotojournalisten Danny (Mike Faist, der zuletzt in „West Side Story“ und „Challengers“ brillierte) von dem schwierigen und von vielen Konflikten behafteten Dasein, das sie alle als Mitglieder der „Vandels“ führen. Dabei ist es eine Geschichte von Aufstieg und Fall. 1965 bildet der Motorradclub noch eine verschworene Gemeinschaft von Außenseitern, an deren Spitze Johnny (Tom Hardy, „Mad Max: Fury Road“, „The Dark Knight Rises“) als Idealbild steht.  Weil Johnny eines Abends „Der Wilde“ im Fernsehen sieht und von Marlon Brandos ikonischer Rolle fasziniert ist, versucht er dessen Coolness zu imitieren und ruft die Motorradgang der „Chicago Vandels“ ins Leben. Ihre stets grimmig dreinschauenden Mitglieder lieben es, ihre Kräfte in Leder- und Jeanskutten miteinander zu messen und in ihrem Clubhaus bei langen Partys reichlich zu trinken und zu rauchen. 

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Zur Biker-Gang gehören auch Schauspielergrößen wie „The Walking Dead“-Star Norman Reedus und Michael Shannon, der bisher in jedem Nichols-Film mitwirkte und auch hier in einer einprägsamen Nebenrolle im Gedächtnis bleibt. 
Die schlecht rasierten, mit Motoröl verschmierten und ungepflegten Männer geben sich flotte Spitznamen wie „Zipco“, „Cockroach“, oder „Funny Sonny“, scharen unschuldig dreinblickende Frauen mit Beehive-Frisuren um sich und versuchen, ihrem tristen Dasein immer wieder eine Prise Abenteuer und Gefahr hinzuzufügen. Mitunter verbrennen sie sich bei ihren Aktivitäten auch die Finger, wenn sie versuchen, vor lauter Lebensdurst wie Motten bei Nacht um den Scheinwerfer einer Harley zu kreisen, damit sie sich von der bürgerlichen Ordnung und dem uniformen Vorstadtleben distanzieren können. 

Einmal so cool sein wie Marlon Brando

 Im Kern machen sie aber deutlich, wie schwierig und unvereinbar es ist, ein ruhiges, normales gesellschaftliches Leben mit Familie und Beruf unter diesen Umständen zu leben. So ist auch für Kathy das Eheleben eine ständige Gradwanderung zwischen zwei unversöhnlichen Welten. Zwar ist sie von Anfang an fasziniert von Bennys Draufgängertum, nach dem Modell eines James Dean und respektiert dessen Loyalität gegenüber Gang-Anführer Johnny, für den Benny wie ein Sohn ist, der seinen Posten einmal beerben soll. Gleichzeitig kämpft sie aber auch um ihre Liebe zu dem wortkargen Benny, der immer wieder hin- und hergerissen ist zwischen seiner Wahlfamilie und seiner Ehefrau und sich schwer damit tut seine Gefühle auszudrücken. Zudem kämpft sie darum, Benny aus dem Strudel der zunehmenden Gewalt und den internen Machtkämpfen im Biker-Milieu zu befreien. 

Kathy hält den Film aber nicht nur als Erzählerin zusammen, sondern fungiert gleichzeitig als narratives Korrektiv: „Ihr Blick“, so Nichols, „als weibliche Außenseiterin, die zwar durch ihre Ehe mit Benny zur Motorradgang dazugehört, aber eben kein Biker ist, schafft einen wichtigen Abstand zum Geschehen, den Lyons Fotos eher selten darstellen, da sie die Subkultur der Biker-Welt tendenziell mehr verherrlichen und verklären, als die kollidierenden Männlichkeitsbilder und stereotypische Frauenrollen infrage zu stellen.“ Nichols Film hingegen zeigt nie, dass das Herumfahren auf heißen Schlitten und das gemeinschaftliche Abhängen eine besonders romantische, heroische oder gar geistreiche Beschäftigung sei. Was die Figuren in seinem Film vielmehr prägt und ausmacht, so der Regisseur „ist die Suche nach Identität in einer sich schnell verändernden Welt und der Wunsch nach Zugehörigkeit und Heimat“. 

Als Danny schließlich Kathy im Jahr 1973 letztmalig interviewt, erzählt sie ihm vom weiteren Schicksal ihrer früheren Weggefährten und was aus ihnen geworden ist, nachdem das „Goldene Zeitalter“ der Biker Anfang der 1970er-Jahre vorbei war und eine Entzauberung der Biker-Welt stattfand: Die „Chicago Vandels“ existieren zwar noch, aber sie haben sich verändert – denn eine neue Generation von jungen Wilden hat die Machtpositionen übernommen und finanziert ihr Dasein nunmehr mit Drogenhandel und Prostitution und schrecken selbst vor Mord nicht zurück. Wehret den Anfängen, scheint Kathy uns mit ihrer Geschichte sagen zu wollen. 

Trotz schneller Maschinen ein ruhiger Film

 Jeff Nichols hat sich nach achtjähriger Schaffenspause endlich wieder im Kino zurückgemeldet und das mit einem fulminanten Biker-Film, der durch seine ruhige Erzählweise weniger an Klassiker wie „Easy Rider“ oder „Der Wilde“ erinnert, als vielmehr gradlinig an seine bewegenden Charakterdramen der vergangenen Jahre anschließt. Dennoch kann eine gewisse Verbindung zu „Easy Rider“ nicht ganz abgestritten werden: Zum einen aufgrund des zeitlichen Rahmens, in dem sowohl „The Bikeriders“ als auch der Dennis-Hopper-Klassiker angesiedelt sind, als auch in der Einsicht, dass man auch auf schnellen Rädern weder den Zwängen der Gesellschaft noch der menschlichen Natur vollumfänglich entfliehen kann. Gute Biker-Filme wie „Easy Rider“ und in diesem Fall ebenso „The Bikeriders“ weisen wie Spätwestern über das eigene Genre hinaus und reflektieren enttäuschte oder auch verratene Ideale nicht selten schonungslos. Und da „The Bikeriders“ auf einer wahren Geschichte beruht, wirkt die Enttäuschung hierüber umso stärker nach.  

Es lohnt sich, bei diesem Film auch noch beim Abspann sitzen zu bleiben, denn Nichols präsentiert uns dort einige der ikonischen Fotografien aus dem Bildband von Danny Lyon, die den Film zum Ende hin dementsprechend noch eindringlicher machen. Wer bloßes spektakuläres Action-Kino mit heißen Motorrädern, viel Nostalgie, wilden Spritztouren und draufgängerischen Biker-Helden erleben möchte, der sollte um diesen Film lieber einen weiten Bogen machen. Wer jedoch ein nachdenkliches Charakterdrama, gepaart mit einer guten zeitgeschichtlichen Milieustudie und hervorragenden Schauspielern sehen will, der sollte sich diesen Film auf keinen Fall entgehen lassen. Denn „The Bikeriders“ gehört zu den Filmen, die mit jeder neuen Sichtung sowie durch ihren authentischen Look immer mehr an Fahrt aufnehmen. 

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Norbert Fink Schauspieler Zeitgeschichte

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