Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Erzbischof von Cambrai im Interview

„Weniger institutionalisiert und weniger medienwirksam"

Der Erzbischof von Cambrai, Vincent Dollmann, vergleicht im Interview das Synodalitätsverständnis in Deutschland und Frankreich.
Der Erzbischof von Cambrai, Vincent Dollmann
Foto: MASSIMILIANO MIGLIORATO / IPA via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | "Die französischen Diözesen durchlaufen weitgehend einen Prozess der missionarischen Erneuerung, der den Schwerpunkt auf die Verkündigung des Evangeliums und das brüderliche Leben legt", meint Erzbischof Dollmann im ...

Herr Erzbischof, der Synodale Weg der deutschen Bistümer hat außerhalb Deutschlands unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Wie sieht das in Frankreich aus?

Die institutionellen Kontakte zwischen den beiden Bischofskonferenzen und die Bistumspartnerschaften halten die mitbrüderlichen Bande zwischen den französischen und deutschen Bischöfen aufrecht und ermöglichen die Aussprache. Viele von uns sind jedoch besorgt über die Spannungen und sogar Spaltungen, zu denen der Synodale Weg in Deutschland führen kann. Aus institutioneller Sicht erscheint er als ein Machtverhältnis zwischen Bischöfen und Laien, insbesondere zwischen der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Und aus ekklesiologischer Sicht scheint sich der Prozess in Richtung eines Parlamentarismus zu bewegen, in dem wichtige Fragen wie das Weiheamt gewählten Organisationen zur Beratung vorgelegt werden.

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Die Französische Bischofskonferenz hat ebenfalls 2021 einen synodalen Prozess eingeleitet. Dabei ging es um die Herausforderungen der ganzheitlichen Ökologie. Drei Jahre lang schlossen sich Personen, die sich in diesem Bereich in den Diözesen engagieren, uns in Arbeitsphasen an, um die ökologische Frage besser in die Seelsorgeprojekte einzubinden. Diese stärker synodale Arbeitsweise ist nun in den neuen Statuten der Bischofskonferenz verankert, die am 6. Mai 2024 verkündet wurden. Nach Artikel 26 soll alle drei Jahre ein erweiterter Rat aus Bischöfen und Gläubigen tagen. 

"Viele von uns sind besorgt
über die Spannungen und sogar Spaltungen,
zu denen der Synodale Weg in Deutschland führen kann"

Welche Bedeutung haben die strittigen Themen, insbesondere die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe in Ihrem Land?

Innerhalb der Kirche in Frankreich gibt es immer wieder Debatten und sogar Spannungen zwischen den Generationen und Reibungsflächen. Sie sind weniger institutionalisiert und weniger medienwirksam als in Deutschland, was vor allem auf die marginalisiertere Stellung der Kirche aufgrund des gesetzlichen Trennung von Staat und Kirche von 1905 zurückzuführen ist. 

Die Bischöfe in Frankreich arbeiten mit den Laien zusammen, um deren Beteiligung an den diözesanen Räten und den Ausbildungsstrukturen, einschließlich der Seminare, wirksam zu gestalten. Viele Laien werden als Ehrenamtler berufen, da die finanziellen Mittel vieler Diözesen knapp sind. 
Einige Mitbrüder haben neben den Generalvikaren auch Laien berufen, die die Funktion des Generalsekretärs übernehmen. Ich habe meinerseits die Präsenz von Laien im Bischofsrat verstärkt. Neben meinen beiden Generalvikaren gehören ihm vier Laien - Männer und Frauen an. 

Die französischen Diözesen durchlaufen weitgehend einen Prozess der missionarischen Erneuerung, der den Schwerpunkt auf die Verkündigung des Evangeliums und das brüderliche Leben legt. Zu den konkreten Initiativen gehören auf nationaler Ebene die Missionskongresse, die 2015 von Laien ins Leben gerufen wurden. Dabei erhalten Christen die Möglichkeit, sich darüber auszutauschen und weiterzubilden, wie sie das Evangelium in der heutigen Gesellschaft vermitteln können. Auf Diözesanebene werden manchmal Teams aus Priestern und Laien gebildet, um missionarische Initiativen in den Pfarreien und Bewegungen zu begleiten und anzuregen.

Diese Dynamik hebt in Treue zur Tradition der Kirche hervor, worin das jeweils Spezifische der Berufungen besteht und wie sie sich gegenseitig ergänzen. Es sind überwiegend junge Menschen, die mitmachen. Sie wünschen sich eine echte Zusammenarbeit zwischen Laien und Klerikern in den Strukturen, ohne jedoch die priesterliche Berufung von Männern, die sich zum Zölibat verpflichten, in Frage zu stellen.

Sie haben kürzlich den Erfurter Katholikentag besucht. Welchen Eindruck hatten Sie von der Veranstaltung?

Ich war froh, zum ersten Mal am Katholikentag teilnehmen zu können. Die Stände der Vereine, religiösen und spirituellen Gemeinschaften, Diözesen sowie der Gewerkschaften und politischen Parteien erinnerten mich an eine Messe. 

Ich war berührt von der Sorgfalt, die den liturgischen Feiern gewidmet wurde. Den Wortgottesdiensten wurde Priorität eingeräumt. In meiner Diözese wird das Fronleichnamsfest in der Stadt Douai seit seinen Ursprüngen gefeiert. 1254 geschah dort ein eucharistisches Wunder. Als Bischof bedauere ich, dass, anders als in Erfurt üblich, keine Prozession nach der Eucharistie stattfand.

Beeindruckt war ich von der Vielfalt der Themen, die in den Podiumsdiskussionen angesprochen wurden und die Debatten in der Kirche und der Gesellschaft abdeckten.

Der Katholikentag spiegelt das Gesicht der Kirche in Deutschland wider. Durch ihre soziale und erzieherische Rolle, die sie durch ihre Strukturen ausübt, steht sie in direkter Verbindung mit der Gesellschaft. Bei der Eröffnungszeremonie auf dem Domplatz hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine sehr politische Rede, in der er zur Verteidigung der Demokratie aufrief und die unersetzliche Rolle christlicher Einrichtungen für Menschen in prekären Lebenslagen betonte.

Diese Stellung ermöglicht es der Kirche, als wichtiger Partner im Leben des Landes anerkannt zu werden. Sie kann sie aber auch in die Säkularisierung treiben, wo Machtverhältnisse vorherrschen und der Sinn für den Lebensschutz und die Familie geschwächt wird. Ein Beispiel dafür ist, dass zu einem Podium zur Abtreibungsdebatte Befürworter einer vollständigen Legalisierung eingeladen wurden, während Lebensschutzorganisationen außen vor blieben.

"Der Katholikentag spiegelt
das Gesicht der Kirche in Deutschland wider"

Welche Erwartung haben Sie an den Synodalen Prozess der Weltkirche?

Im Jahr 2022 wurde in den Berichten der Diözesen der brennende Wunsch nach einem besseren Miteinander in der Kirche geäußert. Als notwendig benannt wurden: die Wichtigkeit, aus dem Wort Gottes Kraft zu schöpfen, die Dringlichkeit, aussagekräftige und glaubwürdige Impulse in die heutige Gesellschaft zu senden, die Notwendigkeit, den brüderlichen Dialog zu pflegen.

Der neue Bericht vom Mai 2024 konzentriert sich im Hinblick auf die zweite Synode in Rom stärker auf die Reflexions- und Entscheidungsinstanzen in den Diözesen. In der Schlussfolgerung tauchen mehrere Ideale auf, von denen mir zwei besonders am Herzen liegen: Zum einen sollen die kirchlichen Entscheider nicht nicht darin nachlassen, auf das Wort Gottes zu hören und zu beten. Vorbild ist das geisterfüllte Gespräch der Teilnehmer der ersten Sitzung der Synode in Rom.

Zum anderen sollen Laien und Kleriker ihre Verantwortung für den Missionsauftrag der Kirche gemeinsam wahrnehmen. Diesen Auftrag hat die Kirche in Frankreich insbesondere durch den Kerygma-Prozess zu einer Priorität gemacht. Er wurde 2022 ins Leben gerufen; 2023 gab es ein nationales Treffen in Lourdes, um die missionarischen Initiativen in den Diözesen zu unterstützen.

Die Synode über die Synodalität erreicht ihr Ziel, wenn jeder Getaufte, Laie und Kleriker, sich neu bewusst macht, dass er „ein aktives Subjekt der Evangelisierung“ (Papst Franziskus Evangelii Gaudium Nr. 120) ist, und die Freude erlebt hat, dabei zu sein. 

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