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„Unter Jubel und lautem Posaunenschall“

Beim Adoratio-Kongress in Altötting zeigt sich: Es gibt eine lebendige Kirche jenseits des Gremienkatholizismus.
Adoratio-Kongress 2024
Foto: Bistum Passau | Das Allerheiligste im Mittelpunkt: Der "Abend der Barmherzigkeit" am zweiten Tag des Adoratio-Kongresses 2024.

Mit festen, langen Schritten schreitet Bischof Stefan Oster am frühen Freitagnachmittag über den abschüssigen Weg vom Kapellplatz im bayerischen Altötting in Richtung St. Anna. Links und rechts schüttelt er die sich ihm entgegenstreckenden Hände der Gläubigen. Eine Mutter, die in die entgegengesetzte Richtung unterwegs ist, kämpft mit ihrem Kinderwagen gegen die Steigung an. Als der Bischof sie sieht, wendet er kurzerhand und schiebt den Wagen für sie nach oben.

An Szenen wie diesen wird gleich am ersten Tag des von Oster initiierten Adoratio-Kongresses augenfällig, wie groß die Nähe zwischen Klerus und Volk an diesem Wochenende ist. Gut 1.500 Teilnehmer sind für drei Tage der eucharistischen Anbetung und des Lobpreises nach Altötting gekommen. Ergänzt wird das Programm durch Vorträge, Glaubenszeugnisse und geistliche Workshops. Es herrscht ein leichter Überschuss an Frauen. Die zumindest optisch dominierende Altersgruppe sind die Überfünfzigjährigen, aber auch Jugendliche sowie junge Familien mit Kindern sind da. Von den Jungen könnten es allerdings mehr sein, wie von verschiedenen Seiten zu hören ist. 

Der Großteil des Kongresses spielt sich in der von 1910 bis 1912 im neobarocken Stil errichteten Basilika St. Anna ab. Auf dem Vorplatz der Kirche sind Stände aufgebaut, an denen sich verschiedene katholische Organisation und Medien präsentieren. Ingrid Wagner, die Leiterin des Referats für Neuevangelisierung in Osters Bistum Passau, begrüßt die Teilnehmer und deutet den strahlend blauen Himmel am Eröffnungstag kurzerhand als Omen marianischer Zustimmung. In der Tat scheint alles so, als habe die Gottesmutter ihren großen blauen Schutzmantel über die hier Versammelten ausgebreitet.

Applaus im Gotteshaus

Schnell wird klar, dass das trockene Wort „Kongress“ das Wesen der Veranstaltung nicht einfängt. Vielmehr herrscht eine Art Festivalstimmung, die wie selbstverständlich auch Konventionen, wie man sich in einem sakralen Raum zu verhalten hat, hinwegfegt. So bricht als Reaktion auf Wagners Eröffnungsworte zum ersten, aber noch lange nicht zum letzten Mal während dieser drei Tage tosender Applaus aus. Als auch bei der Eucharistiefeier nach Bischof Gregor Maria Hankes Predigt ausgiebig geklatscht wird, muss ich an die Worte Benedikts XVI. denken: „Wo immer in der Liturgie Beifall für irgendeine menschliche Leistung ausbricht, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass das Wesen der Liturgie völlig verschwunden und durch eine Art religiöser Unterhaltung ersetzt worden ist.“ Bin ich etwa doch nicht, wie ich dachte, unter frommen, konservativen Katholiken?

Alles andere als traditionell ist zumindest die Musik, von der „Adoratio“ geprägt ist. Der Lobpreis, der in moderner Bandbesetzung einschließlich Schlagzeug und E-Gitarre vorgetragen wird, spielt während des gesamten Glaubensfestivals eine entscheidende Rolle. Allein bei der Lichterprozession zur Gnadenkapelle am Samstagabend sowie beim von Kardinal Rainer Maria Woelki geleiteten Abschlussgottesdienst am Sonntag erklingen dank der aufspielenden Diözesanbläsergruppe andere, mir vertrautere Töne.

Der erste Tag endet mit einem „Abend der Barmherzigkeit“. Die katholische Influencerin Tini Brüning gibt ein gewohnt engagiertes Glaubenszeugnis. Danach wird das Allerheiligste ausgesetzt. Die Anbetung vollzieht sich allerdings nicht in Stille. Während die Gläubigen vor ihrem Herrn knien, spielt eine Band Pop-Melodien, die mir süßlich und pathetisch vorkommen, und singt dazu fromme Texte. Im hinteren Teil der Basilika haben sich derweil „Gebetsteams“ formiert. Die Augen in konzentrierter Gespanntheit geschlossen, die Häupter leicht geneigt, legen sie die Hände auf die Köpfe jener, die mit ihren Anliegen zu ihnen kommen und schließen sie so, auch körperlich, ins gemeinsame Gebet ein. Charismatisches Flair erfüllt das Gotteshaus. Was wohl der heilige Papst Pius X., der es in den Rang einer Basilica minor erhoben hat, dazu sagen würde?

Wo ist der „Wohnraum Gottes “?

Ich bin erstaunt über so viel gläubige Hingabe. Es besteht kein Zweifel: Diese Menschen lieben Christus und sie tun es auf ebenso innige wie expressive Weise. Angesichts dieser Erkenntnis kommt mir meine Verstimmung über den zuvor mehrfach vernommenen Applaus ¬fast wie eine Mischung aus Snobismus und Kleinlichkeit vor. Dennoch ist da eine Irritation. Hatte nicht Bischof Hanke bei seiner Predigt gesagt, der Lobpreis müsse aus dem Inneren als „dem Wohnraum Gottes kommen“, und dabei betont, dieser Wohnraum sei dort, wo wir in Distanz zu uns selbst gehen? Befeuert diese Art von Musik mit ihren animierenden Rhythmen und ihren ebenso einfachen wie eingängigen Melodien nicht gerade jene leicht entzündlichen Leidenschaften, mittels derer der Mensch sich vor allem selbst genießt? Verdeckt diese Art des Lobpreises nicht die Stille, aus der heraus Gott eigentlich zu vernehmen ist?

In der kleinen Anbetungskappelle bei der Stiftskirche finden alle jene Zuflucht, die sich wie ich nach einer Begegnung mit dem Herrn in Stille sehnen. Als ich dort ankomme, ist der kleine Raum schon so gut wie voll. Eine Antwort auf meine Fragen finde ich jedoch erst einmal nicht. Der erste entscheidende Hinweis kommt erst am nächsten Morgen am Frühstückstisch. Eine Frau aus München, Mitglied einer charismatischen Gemeinschaft und Leiterin einer Gebetsgruppe, erzählt, was sie so am Lobpreis begeistert: Sie sei eigentlich ein Kopfmensch, denke zu viel nach. „Der Lobpreis“, sagt sie, „öffnet mein Herz“. Die anderen Gäste an Tisch nicken zustimmend.

Moderne Psalmen

Bei einer anderen Gelegenheit an diesem Wochenende macht sie mir klar, wie wichtig die Texte sind. „Wissen Sie“, klärt sie mich auf, „das sind ja eigentlich moderne Psalmen.“ Auch König David habe ja mitreißende Musik geschaffen, um den Herrn zu preisen. Unweigerlich kommt mir die Geschichte von David und Michal in den Sinn. Als David die Bundeslade nach Jerusalem überführen ließ, geschah dies „unter Jubel und lautem Posaunenschall, mit Trompeten- und Zimbelklang, Harfen und Zithern“ (1 Chron 15,28). Sauls Tochter Michal aber beobachtete das Geschehen argwöhnisch und missbilligend aus der Ferne: „Als sie König David springen und tanzen sah, empfand sie Verachtung für ihn.“ Gottes Segen lag aber auf David, nicht auf Michal, die, wie zur Strafe, bis zu ihrem Tod kinderlos blieb. Nun geht mir ein Licht auf: Was so viele Gläubige in die Kirche treibt, sie zur Anbetung, zum Empfang der Sakramente und zur Treue gegenüber dem Lehramt motiviert, kann nicht schlecht sein. Man müsste also schon eine wiedergeborene Michal sein, um das Katholischsein, wie es bei „Adoratio“ gelebt wird, als charismatisch-progressive Verirrung abzutun.

Katholischsein in Gemeinschaft

Was sich neben Anbetung und Lobpreis als roter Faden durch diese Tage zieht, ist das Erleben von katholischer Gemeinschaft, die hohe Geistliche wie einfache Laien gleichermaßen umfasst. Es ist Samstagabend, die aus dem Gebetshaus in Augsburg bekannte Veronika Lohmer gestaltet mit ihrer Band einen Gebetsabend mit Lobpreis. Die meisten Teilnehmer kennen die Texte auswendig. Die anderen können sie auf den großen Bildschirmen, die alle paar Meter an der Seite der Kirchenbänke aufgestellt sind, mitlesen. Es herrscht eine für einen Kirchenraum eigenartige Konzertstimmung, aber mit entscheidenden Unterschieden. Statt sich etwa, wie dies bei einem weltlichen Konzert in einem Club normal wäre, an der Theke für ein neues Bier anzustellen, stehen die Menschen hier vor den rund ein Dutzend Beichtstühlen Schlange, die übrigens fast während des gesamten Kongresses besetzt sind. Die Frau neben mir, Mitte fünfzig und offenbar mit der Musik von Lohmers Band bestens vertraut, bittet mich, sie aus der Bank zu lassen. Sie wolle sich einen Beichtvater suchen. Als sie zurückkommt, ist ihre Begeisterung groß: „Ich war beichten – bei einem Bischof!“ Den habe sie unversehens vor der Kirche getroffen und einfach angesprochen. „Jetzt geht’s mir wieder gut“ – nach diesem Fazit, das sie schon mehr zu sich selbst als zu mir zu sprechen scheint, schließt sie die Augen, breitet mit nach oben geöffneten Handflächen die Arme aus und beginnt, sich wieder in die Musik einzugrooven.

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Auch den anwesenden Bischöfen – neben Oster, Woelki und Hanke ist auch Bischof Wolfgang Ipolt gekommen – tut es sichtlich gut, fern des parallel tagenden „Synodalen Ausschusses“ unter ihresgleichen zu sein. Die Solidarität, Kameradschaft und freundschaftliche Verbundenheit der vier Bischöfe kommt immer wieder in kleinen und großen Gesten zum Ausdruck. In einer Pause erzählt Bischof Oster den Umstehenden mit ebenso schelmischer wie wohlwollender Freude, wie Kollege Hanke die immer größer werdende Einblendung „Ende“ auf dem Videomonitor während seiner Predigt übersehen und daher überzogen habe. Die Anekdote sorgt rundum für heiteres Lachen. Zu Beginn des Abschlussgottesdienstes verrät Oster, was ihn dieses Jahr am stärksten ergriffen habe: die Begeisterung, mit der die Teilnehmer Kardinal Woelki, den er einen „echten Kreuzträger“ nennt, begrüßt hätten. Frenetischer Applaus brandet ob dieser Worte auf und will, so scheint es für einen Moment, gar nicht mehr abebben. Selbst der sonst so gefasste Kardinal ist sichtlich bewegt. Er bedankt sich und spricht einen Satz, der zugleich das Leitmotiv der vergangenen Tage zusammenfasst: „Alle Ehre, alles Lob, alle Preisungen gehören Gott.“

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