Angst vor dem Ausnahmezustand – das ist das Gefühl, das sich schon seit einigen Wochen in Essen breit macht. Dass an diesem Wochenende das politisch interessierte Publikum eher auf die Ruhrmetropole schaut als auf die Hauptstadt, hat einen Grund: In der Essener Grugahalle findet der AfD-Parteitag statt.
Aber nicht nur das, es haben sich vor allem Abertausende Gegendemonstranten angesagt. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) rechnet mit bis zu 80.000 Menschen. Mit dabei sind auch Linksextreme. Das Schlimmste, was passieren könnte, sozusagen der Alptraum aller Sicherheitsverantwortlichen: wenn Essen zu einem zweiten Hamburg würde. Beim G20-Gipfel in der Hansestadt legten 2017 Linksextremisten ganze Stadtviertel in Schutt und Asche. Mit der größten Polizeipräsenz, die die Stadt je erlebt hat, Straßensperrungen und vorsorglich geschlossenen Geschäften soll nun solchen Exzessen vorgebeugt werden.
Wie lässt sich die öffentliche Auseinandersetzung mit der AfD gestalten?
Es stellen sich aber vor allem grundsätzliche Fragen: In gewisser Weise hat sich Essen in den letzten Wochen zu einem Politlabor entwickelt. Denn hier wurden alle jene Modelle durchprobiert, nach denen man bisher glaubte, die öffentliche Auseinandersetzung mit der AfD gestalten zu können. Und sie alle haben sich als nicht tragfähig erwiesen.
Modell 1: Der rechtliche Weg. Die Stadt Essen wollte die AfD nur dann in der Grugahalle tagen lassen, wenn die Partei bereit sei, vorher eine Erklärung abzugeben, nach der sie extreme Parolen während der Veranstaltung unterbinden werde. Die AfD weigerte sich und zog vor Gericht. Und das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen war eindeutig: Die AfD habe den Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen politischen Gruppen bei der Nutzung der Halle. So ein Ergebnis war absehbar. Trotzdem: Am Ende konnte die AfD triumphieren.
Modell 2: Die Demo-Folklore. Morgen Mittag wird es eine zentrale Großkundgebung geben. Der Oberbürgermeister spricht – und auch andere Vertreter der „Stadtgesellschaft“. Auch die Kirchen haben ihre Unterstützung zugesagt. Das Ergebnis: Tausende von Menschen versichern sich gegenseitig ihrer guten Gesinnung und erzählen sich das, was sie sowieso schon wissen. Das Ganze wird als Zivilcourage verkauft. Das Problem nur: Kein einziger AfD-Anhänger, geschweige denn einer der Parteitagsdelegierten wird durch solche „Events“ ins Nachdenken gebracht. Im Gegenteil: Eher setzt noch eine Trotzreaktion ein.
So bestätigt man das AfD-Narrativ
Modell 3: Infantilismus. Vor der Halle hat die Stadt Europa-Fahnen und Regenbogen-Flaggen gehisst. Das ist eindeutig ein Eigentor, bestätigt man doch indirekt das AfD-Narrativ, nach dem die vermeintlich böse EU mit bestimmten LGBTQ-Ideologen unter einer Decke stecke. Um das Problem zu erkennen, müsste man aber wissen, dass die Regenbogenflagge nicht etwa nur irgendein Toleranz-Symbol ist, sondern für eine Ideologie steht, die gegen die christliche Anthropologie und das klassische Familienbild gerichtet ist. Auch ist die Flagge keineswegs identisch mit dem ja vollkommen berechtigten Einsatz, sich gegen eine Diskriminierung von Homosexuellen einzusetzen. Aber zu solchen Differenzierungen ist die Protest-Pippi-Langstrumpf nicht in der Lage: Hauptsache, man streckt vor den bösen Blauen die Zunge raus.
Aber wie wird nun die angemessene Auseinandersetzung mit der AfD künftig aussehen müssen? Es ist eine zentrale Frage. Es gibt auf sie keine einzelne Antwort. Aber ein großer Fortschritt wäre schon, wenn die Öffentlichkeit endlich das Scheitern der bisherigen Modelle anerkennen würde. Das Problem wird umso dringender, weil die AfD längst fester Bestandteil der deutschen Politik ist. Die Lage verlangt einen anderen Umgang. Es geht nicht darum, die AfD in die Arme zu schließen. Ganz im Gegenteil. Aber wer den weiteren Aufstieg dieser in Teilen extremistischen Kraft verhindern will, dem muss mehr einfallen als diese Ladenhüter. Wir brauchen Argumente.
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