Nein, innig war das Verhältnis zwischen US-Präsident Joe Biden und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu nie. Doch jetzt zelebriert „Bibi“ – wie Freund und Feind den starken Mann Israels nennen – seine Abneigung gegen den Paten Israels im Weißen Haus so öffentlich und so deutlich, dass das Fragen aufwirft: Setzt Netanjahu auf einen offenen Bruch mit Biden, dann hat das auch Auswirkungen auf den amerikanischen Wahlkampf und die Comeback-Chancen von Donald Trump, doch was hat Israel davon? Oder geht es Bibi gar nicht um Israel, sondern um Bibi?
Es mag eine Petitesse sein, dass Netanjahus Büro US-amerikanische Medienberichte dementiert, wonach der israelische Ministerpräsident am 13. Juni vor dem US-Kongress in Washington spreche. Der Termin stehe noch gar nicht fest, und der 13. Juni komme schon gar nicht in Frage, weil da das jüdische Wallfahrtsfest Schawuot gefeiert wird, ließ Netanjahu mitteilen. Eleganter wäre es angesichts des bereits zerbrochenen Porzellans gewesen, zunächst einen Termin zu vereinbaren.
Andere Prioritäten
Keine Petitesse ist jedenfalls, dass Netanjahu den Plan des US-Präsidenten für eine Waffenruhe mit maximaler Öffentlichkeit in die Tonne tritt. Bidens „Deal“ setzt, stark verkürzt formuliert, zwei Prioritäten: die Freilassung und Heimkehr der von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln, und einen Stufenplan zum Frieden. Beides wäre im Interesse Israels. Doch Netanjahu hat offenbar eine andere Priorität: die militärische Zerschlagung der Hamas. Doch dieser Hydra wachsen angesichts der Grauen im Gazastreifen für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nach. Und so wird Netanjahus Nein zu Bidens Vorschlag zum innen- wie zum weltpolitischen Sprengstoff.
Garniert hat Bibi seine Zurückweisung der amerikanischen Deeskalationsstrategie mit einem Dementi, das Biden als Lügner oder Idioten präsentiert: Der US-Präsident hatte behauptet, dass Israel mit dem 3-Phasen-Plan Washingtons einverstanden sei, doch Netanjahu teilte der Welt umgehend mit, diese „Behauptung“ sei „nicht richtig“. Eine solche öffentliche Brüskierung des Präsidenten jener Weltmacht, die stets ihre schützende Hand über Israel hielt, ist dem Politfuchs Netanjahu wohl nicht einfach passiert. Netanjahu setzt auf Konfrontation: nicht nur im Gazastreifen, gegenüber der Hisbollah und dem Iran, sondern auch im laufenden US-Wahlkampf und in der israelischen Innenpolitik.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.