Nicht nur mit seiner überraschenden Auflösung der Nationalversammlung könnte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron selbst den linken und rechten Rändern politischen Einfluss geschenkt haben: Unter seiner Präsidentschaft sind die Staatsschulden astronomisch angestiegen; die innere Sicherheit und Kaufkraft der Franzosen hingegen geschwunden. Zulauf bekommen jetzt die linken und rechten Ränder: Bei Wahlumfragen liegt das rechte „Rassemblement National“ Marine Le Pens mit 36 Prozent vorne, es folgt das Linksbündnis der „Neuen Volksfront“ mit 29,5 Prozent und schließlich Macron und Gabriel Attals Mitte mit um die 20 Prozent.
Desillusionierung mit der Mitte und linker Antisemitismus
Eine zunehmend antisemitische Haltung von links, so analysiert Frankreich-Korrespondentin Franziska Harter, führt mit dazu, dass Demos gegen Rechts – und Berührungsängste mit rechten Parteien – an Bedeutung verlieren. „Weniger als 75.000 Personen nahmen Mitte Juni an der großen Demo gegen Rechts in Paris teil“, so Frankreich-Korrespondentin Franziska Harter in der kommenden Ausgabe der „Tagespost“, „nicht zu vergleichen mit den 1,5 Millionen Franzosen, die 2002 gegen Jean-Marie Le Pen auf die Straßen gegangen sind“. Der Hauptgrund für den Stimmenzuwachs am politischen Rand ist die Desillusionierung mit der Führung Marcrons, der, so das Empfinden vieler Franzosen, genau jene Themen zu lange ignoriert hat, mit denen sich das „Rassemblement National“ seit langem profiliert: Immigration, innere Sicherheit und Kaufkraft.
Die möglicherweise bald zweitstärkste Kraft Frankreichs, das neue Linksbündnis „Neue Volksfront“ umfasst Parteien der Grünen, Sozialisten, Kommunisten und der extremen „La France Insoumise“ /LFI). Damit ist ein gewisses Maß an Instabilität dem Bündnis schon eingeimpft, das auch schon innerparteilich erste Risse zeigt: „Mit Blick auf die massiven ideologischen Unterschiede, nicht zuletzt in Bezug auf die Israel- und die Ukrainepolitik, aber auch in der Energie- und Europapolitik, dürfte das Linksbündnis die Wahlen nicht lange überleben“, so Harter. Das gemeinsame Wahlprogramm sei vor allem durch die LFI geprägt.
Mitte-rechts ist es um die Republikaner nicht gut bestellt: Es sei die „Tragik des bürgerlichen Lagers“, dass es seine christdemokratische Seele und damit seine Fähigkeit zur politischen Gestaltung verloren habe, so Harter. Chef Eric Ciotti verbündete sich mit Le Pens Partei, jedoch ohne das Mark seiner Partei oder auch nur die meisten Mitglieder zu überzeugen. Ein Putschversuch gegen ihn scheiterte; aber in den Wahlkreisen verbünden sich Republikaner weiter mit Macrons Mittebündnis: „Zwischen Macrons Mitte und dem RN scheint kein Platz mehr für eigenständige Akzentsetzung zu sein“, so Harter. Die „übriggebliebenen ,Rumpf‘-Republicains“ könnten aber das Zünglein an der Waage für eine Mehrheit rechts der Mitte bieten. DT/sdu
Erfahren Sie mehr über die politische Stimmung in Frankreich vor den Neuwahlen, ihre Folgen, und die Strategie des Rassemblement National im Wahlkampf im ganzen Artikel in der kommenden Ausgabe der „Tagespost“.