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Der Libanon versinkt in Chaos und Tristesse

Trauriges Land der Zedern: Beirut wird in den fremden Konflikt hineingezogen.
Ein von israelischen Luftschlägen zerstörtes Auto in der Stadt Jannata
Foto: IMAGO/Ali Hashisho (www.imago-images.de) | Die Hisbollah macht Nordisrael mit Raketen unsicher, während Israels Armee im Libanon zurückschlägt. Im Bild: Ein von israelischen Luftschlägen zerstörtes Auto in der Stadt Jannata.

Immer wieder attackiert die schiitische Hisbollah vom südlichen Libanon aus den Norden Israels. Immer wieder schlagen die Israelis militärisch zurück, töten auch gezielt ranghohe Kommandanten von Hamas und Hisbollah. Längst sind es mehr als nur Nadelstiche: Beiderseits der Grenze verzeichnet man schwere Zerstörungen; weit mehr als 150.000 Menschen wurden aus der Kampfzone evakuiert. Er werde „auf die eine oder andere Weise die Sicherheit im Norden wiederherstellen“, gelobte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu jüngst. Die „eine Weise“ dürfte Diplomatie heißen, die „andere“ Militärschlag. Die israelischen Streitkräfte stünden für eine Offensive bereit, versicherte Generalstabschef Herzi Halevi. Israel steht bereits jetzt in einem Mehrfrontenkrieg; ein Einmarsch im Libanon hätte unabsehbare Folgen. Nicht nur wegen der militärischen Macht der Hisbollah, sondern auch, weil deren Paten und Auftraggeber in Teheran sitzen.

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Der Libanon ist neuerlich zu einem Spielball benachbarter Mächte geworden und droht nun zum Schauplatz eines Stellvertreterkriegs zu werden. Die vom Iran gesteuerte Hisbollah – zugleich politische Partei und schwerbewaffnete Miliz – ist im Süden zur bestimmenden Macht gereift. Sie ist aufgrund von Bewaffnung, Sicherheitsapparat, politischer Struktur und sozialen Dienstleistungen im Libanon ein Staat im Staate, was mit der eigenen, vom Iran geförderten Stärke ebenso zu tun hat wie mit der Schwäche der libanesischen Staatlichkeit.

Syrien liegt in jeder Hinsicht am Boden

Weil sich Europa um die Levante jahrzehntelang kaum annahm, konnte sich der Iran hier immer mehr Raum verschaffen. Am härtesten traf es das historisch wie kulturell vielschichtige Syrien, dem der Westen nach dem Tod von Diktator Hafiz al-Assad im Jahr 2000 nicht mutig die Hand reichte. Bashar al-Assad, der in London studiert und als Augenarzt gewirkt hatte, musste damals die Nachfolge seines Vaters in Damaskus antreten und versuchte eine Neuorientierung Syriens, die als „Damaszener Frühling“ heute nur mehr für Historiker interessant zu sein scheint. Dieser Frühling währte – wie der „Arabische Frühling“ elf Jahre später – nicht lange, weil der Westen die suchende Hand von Assad Junior nicht ergriff.

Heute liegt Syrien in jeder Hinsicht am Boden: zerstört durch einen Krieg, der nie ein Bürgerkrieg war, und durch westliche Wirtschaftssanktionen, die die Bevölkerung in die Verarmung trieben – eine leichte Beute für Russland und den Iran. Teheran baut seit Jahren eifrig an seiner schiitischen Einflusszone von der Westgrenze Afghanistans bis zum Mittelmeer. Die westliche Ignoranz war dabei hilfreich: Der wenig durchdachte Überfall der US-geführten Allianz unter George W. Bush auf den Irak im Jahr 2003 zerstörte das Zweistromland so nachhaltig, dass – abgesehen von der Kurdischen Autonomieregion im Norden – der Irak nun ein dysfunktionaler Staat ist. Der vom „Arabischen Frühling“ inspirierte, von vielen Mächten angeheizte Krieg um Syrien trieb Bashar al-Assad in die Abhängigkeit von Moskau wie von Teheran. Mit der Hisbollah-Miliz reicht der starke Arm der iranischen Mullahs längst bis ans Mittelmeer.

Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 kommen der Norden Israels und der Süden des Libanon nicht zur Ruhe: Die Hisbollah macht Nordisrael mit Raketen unsicher, während Israels Armee im Libanon zurückschlägt. Ob der Libanon zum Schlachtfeld wird, entscheidet nicht die Regierung in Beirut, sondern die Hisbollah, deren Hintermänner in Teheran sitzen. Vermutlich will der Iran die Hisbollah als stärkste nicht-staatliche militärische Macht in Nahost nicht für das Überleben der sunnitischen Hamas opfern, aber er hat die Macht, nach Belieben an der Eskalationsschraube zu drehen. Der Libanon, das biblische Land der Zedern, versinkt gerade in Chaos und Tristesse.

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Stephan Baier Benjamin Netanjahu Bürgerkriege Evakuierungen Hafiz al-Assad Hamas Hisbollah

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