Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Serienrezension

Ein Kind verschwindet plötzlich 

Ein gutes Drehbuch, hervorragende Schauspieler und eine gekonnte Inszenierung: die Netflix-Serie „Der Fall Asunta“. 
Als ihre 12-jährige Adoptivtochter Asunta plötzlich verschwindet, geraten deren Eltern Rosario Porto (Candela Peña) und Alfonso Basterra (Tristán Ulloa) schnell ins Visier der Ermittler.
Foto: Netflix | Als ihre 12-jährige Adoptivtochter Asunta plötzlich verschwindet, geraten deren Eltern Rosario Porto (Candela Peña) und Alfonso Basterra (Tristán Ulloa) schnell ins Visier der Ermittler.

„Der Fall Asunta“ („El caso Asunta“) erzählt die Geschichte eines Verbrechens, das 2013 Spanien erschütterte: Die Adoptiveltern eines zwölfjährigen Mädchens wurden verdächtigt, ihre Tochter Asunta ermordet zu haben. Das Mädchen wurde in einem Straßengraben in der Nähe von Santiago de Compostela gefunden, nachdem ihre Eltern Rosario Porto und Alfonso Basterra sie als vermisst gemeldet hatten. Die Polizei brauchte nicht lange, um die Eltern Rosario Porto und Alfonso Basterra als Verdächtige ins Visier zu nehmen.

Der Fall wurde in Spanien zu einem Medienereignis, über das monatelang berichtet wurde. Für deutschsprachige Zuschauer, die den „Fall Asunta“ vermutlich nicht kennen, spielt dies zwar keine Rolle. Für die Serienmacher bedeutete dies jedoch eine zusätzliche Herausforderung, da im Produktionsland kaum ein Zuschauer unvoreingenommen die Serie sehen kann. Die Wahl der Besetzung war daher entscheidend. 

Respektvoller Umgang mit Privatsphäre und Intimität

Die Rollen von Rosario Porto und Alfonso Basterra wurden mit zwei hervorragenden Schauspielern besetzt: Candela Peña und Tristán Ulloa gehen wirklich in ihren Rollen auf, und stellen die Ambivalenz zwischen Verletzlichkeit und berechnender Zurückhaltung dar, die Asuntas Adoptiveltern auszeichnete. Auch die weiteren Rollen, insbesondere des Ermittlerpaars, sind sehr gut besetzt. Nur der bekannte Javier Gutiérrez als Ermittlungsrichter mit seinen Wutattacken wirkt repetitiv. In Spanien wird das Ermittlungsverfahren nicht von der Staatsanwaltschaft wie in Deutschland geführt, sondern von einem Ermittlungsrichter. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Anklage ab der Eröffnung des Hauptverfahrens.

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Das Drehbuch spielt geschickt mit der zeitlichen Struktur und den unterschiedlichen Blickwinkeln, um alle Details eines Falles voller Fragen zu schildern, und gleichzeitig offen für alle möglichen Interpretationen über die wahren Motive des Mordes zu bleiben. Dazu kommt eine wohltuende Zurückhaltung in der Schilderung der reißerischen Details der Ermittlungen und ein deutliches Eintreten für einen respektvollen Umgang mit den Grenzen der Privatsphäre und dem Recht auf Intimität.

Den eigentlichen Ermittlungen widmen sich die vier ersten Folgen, während die fünfte Licht in die letzte Nacht von Asunta bringt, und sich die sechste mit dem eigentlichen Prozess beschäftigt. Die Inszenierung setzt nicht auf Hochglanzbilder, sondern auf Bilder, die einer Fernsehreportage entstammen könnten, so dass sich die tatsächlichen Sequenzen aus der Fernsehberichterstattung organisch in die Serie einfügen. Diese werden auch nicht von aufdringlicher Musik unterbrochen. Die Musik besteht aus einer eher nüchternen, zuweilen angespannten Mischung aus Elektronik und Variationen verschiedener Dudelsackstücke, die für die galizische Region typisch sind.

Licht- und Schattenseiten einer befangenen Untersuchung

Wie in anderen Filmen und Serien des Genre „true crime“ bietet „Der Fall Asunta“ keine endgültige Version der Ereignisse, sondern erkunden verschiedene Hypothesen, insbesondere die Schlussfolgerungen des Untersuchungsrichters und der Ermittler. Jedenfalls zeigen sie, dass Rosario Porto und Alfonso Basterra wirklich seltsame Menschen sind. Bei Serien, die auf wahren Begebenheiten beruhen, gibt es eigentlich zwei Möglichkeiten: Sich mit einer einfachen Abfolge von Ereignissen zu begnügen, oder aber Geschichten zu nutzen, um universellere Fragen aufzuwerfen. „Der Fall Asunta“ erkundet das Thema Elternschaft und insbesondere Mutterschaft, wobei diese Aspekte nicht auf die Hauptfiguren der Eltern des Opfers beschränkt bleiben, sondern auch eine gewisse Spiegelung in anderen Figuren finden.

Darüber hinaus spielt auch die Frage nach der Justiz eine Rolle: Der voreingenommene Untersuchungsrichter fasst die Licht- und Schattenseiten einer befangenen Untersuchung zusammen, die auch die Medien und die öffentliche Meinung in eigennütziger Weise steuert. Die Miniserie zeigt deutlich, dass es nicht dasselbe ist, an der Schuld zu zweifeln oder nicht und einen sauberen Prozess zu führen oder nicht. Daher werden die Verteidiger des Paares nicht als „Anwälte des Teufels“, sondern als Teil eines fairen Garantiesystems, bei dem die Unschuldsvermutung eine wichtige Rolle spielt, selbst wenn dies bei Fällen kaum möglich zu sein scheint, die in der öffentlichen Meinung breitgetreten werden.

In der Serie, die auf der Ehe von Basterra und Porto basiert, geht es wohl nicht nur um das Böse an sich. Sie ist sogar noch beunruhigender. Denn sie handelt von der Konstruktion paralleler Realitäten in eigenen vier Wänden, wo unmerklich die grundlegendsten ethischen und moralischen Prinzipien umgedreht werden.

Der Fall Asunta“, Spanien 2024. Serienentwickler: David Orea Arribas, Gema R. Neira, Jon de la Cuesta, Ramón Campos, 6 Folgen à 45-50 Min. Auf Netflix.

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José García

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