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Ein Flüchtlingslager, wie ein großes afrikanisches Dorf

Großbritannien wird seine Asylbewerber künftig nach Ruanda ausfliegen. Doch wie ist die Situation vor Ort? Ein Besuch im größten ruandischen Flüchtlingslager.
Ruanda, Flüchtlingslager Mahama
Foto: Veronika Wetzel | Mahama ist das größte Flüchtlingslager Ruandas. 60.000 Hütten, die meist je eine Familie beherbergen, erstrecken sich über 160 Hektar.

Frauen verkaufen am Straßenrand in bunten Plastikschüsseln Tomaten, Avocados, Limetten. Der Geruch von gegrilltem Reis, Maracuja und Ziegen liegt in der Luft. Es spielt laute Afrobeat-Musik, die Leute bleiben im Vorbeigehen stehen, grüßen einander gut gelaunt. Kinder in Schuluniformen wuseln zwischen den verschiedenen Ständen und Shops in kleinen Holzhütten durch. Ein Geschäft reiht sich an das nächste: eines bietet Babykleidung an, ein anderes Schuhe, das nächste verkauft alles: Kuscheltiere, Ladekabel, Schmuck.

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Ein paar Männer sitzen vor einem blau gestrichenen Haus, auf dem „Restaurant“ steht und ein Ziegenkopf angemalt ist. Beim Schlendern über den Markt im Flüchtlingslager Mahama fühlt man sich nicht wirklich wie in einem Flüchtlingslager, sondern wie in einem großen ruandischen Dorf.
Nur die Schilder am Eingang des Lagers, die die zahlreichen Geldgeber auflisten, und die dichte Bebauung erinnern daran, wo man sich befindet. Mahama ist das größte unter den sechs Flüchtlingslagern Ruandas. Rund 60.000 Lehmhütten, die in der Regel je eine Familie beherbergen, erstrecken sich über 160 Hektar Land, das Gelände ist damit rund 20 Mal so groß wie der Buckingham Palast. Hier leben seit 2015 Geflüchtete aus Burundi und der Demokratischen Republik Kongo.

Rishi Sunak bringt Gesetz zum Asylpakt mit Ruanda durchs Parlament

Großbritannien wird künftig seine Asylbewerber in das Land, das etwa so groß ist wie Mecklenburg-Vorpommern, ausfliegen. Das Oberste Gericht Großbritanniens hatte den Gesetzentwurf im November für rechtswidrig erklärt, in der Nacht zum Dienstag jedoch hat der britische Premierminister Rishi Sunak sein Gesetz zum Asylpakt mit Ruanda durchs Parlament gebracht. Großbritannien zahlte dem ostafrikanischen Land für die Aufnahme von Asylbewerbern bisher 240 Millionen Pfund, weitere 50 Millionen sollen folgen.

Teilweise leben die Geflüchteten seit 25 Jahren in den Camps in Ruanda, seit dem ersten Kongo-Krieg. Nun sollen die Leute raus aus den Lagern: die, die freiwillig zurückkehren, werden vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in ihre Heimat gebracht. Das Hilfswerk hat bereits mehr als 30.000 Menschen aus Burundi in Ruandas Nachbarland zurückgeführt. Alle anderen sollen nach und nach in die Gesellschaft integriert werden.

Denn das Lager hat ein Finanzierungsproblem. Der Leiter des Flüchtlingscamps, André Vuganeza, redet im Gespräch mit der „Tagespost“ nicht um den heißen Brei herum: „Wir dachten, die humanitäre Hilfe geht endlos weiter, aber das war ein großer Fehler. Durch die Konflikte in anderen Teilen der Welt wurde die Hilfe der Vereinten Nationen in den vergangenen Jahren stetig reduziert.“

Durch Sachspenden wie Kleidung, Seife und Nahrungsmittel wurde früher für den Bedarf der Geflüchteten gesorgt. Das sei nun nicht mehr der Fall, und das Geld werde immer weniger. Deswegen sollen die Leute nun von humanitärer Hilfe unabhängig gemacht und in Arbeit gebracht werden: „Wir wollen die Flüchtlinge nicht von der Gesellschaft abschirmen, sondern integrieren. Denn es kann Konflikte kreieren, wenn die Leute in den Camps Geld bekommen und die lokale Bevölkerung dafür arbeiten muss“, so Vuganeza.

Caritas Ruanda startet Pilotprojekt zur Unternehmensgründung

Zu diesem Zweck hat die Caritas Ruanda 2020 ein Pilotprojekt gestartet, das ebenfalls von UNHCR finanziert wird. In dem zweijährigen Programm werden die Teilnehmer geschult, Geld zu sparen; ihnen wird gezeigt, was es braucht, um einen eigenen Shop oder eine Tierhaltung zu gründen, und sie werden mit potenziellen Kreditgebern und Arbeitgebern in Kontakt gebracht. Für die Unternehmensgründung stellt die Caritas jedem Teilnehmer über zwölf Monate 800.000 Ruanda-Francs zur Verfügung, umgerechnet etwa 600 Euro.

Bisher haben etwa 1.300 Menschen das Programm von Caritas, das das größte dieser Art in Mahama ist, durchlaufen. In den nächsten drei Jahren sollen es bereits 10.000 sein, plant der Camp-Leiter. Doch das Vorhaben steht auf wackeligen Füßen, denn es sei nicht klar, ob die Finanzierung durch das UN-Flüchtlingshilfswerk weiter gewährleistet sei. Doch die Ergebnisse seien gut: 80 Prozent der ausgebildeten Teilnehmer befänden sich nach wie vor in Arbeit. Einige von ihnen seien bereits aus dem Flüchtlingslager weggezogen. Die meisten sind aber noch hier.

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Ein Mann sitzt in einem kleinen hölzernen Shop, ähnlich wie ein deutscher Kiosk, an einer Nähmaschine und vernäht Ledersohlen. An den Wänden hängen sauber aufgereihte Sandalen, manche mit bunten Perlen bestickt, andere schlicht in braunem Leder. Er sieht auf, als wir kommen.

Der 44-jährige Emmanuel hat im Vorjahr das Programm der Caritas abgeschlossen. „Bevor ich am Projekt von Caritas teilgenommen habe, habe ich auch Schuhe repariert, aber nur ab und zu, am Straßenrand. Ich habe zusätzlich finanzielle Unterstützung gebraucht. Jetzt habe ich meinen eigenen Laden und kann sogar noch jemanden beschäftigen“, erzählt er freudestrahlend. Stolz präsentiert er das unverarbeitete Leder, das er erstmals durch einen Kredit von der Bank einkaufen konnte. Nun, da er selbstständig ist, stehe ihm deutlich mehr Geld zur Verfügung als zuvor: „Ich kann jetzt viel mehr für meine Kinder kaufen: Bananen, Schuhe, alles. Früher war das nicht möglich.“


„Ich habe kaum
geschlafen, weil ich auf den umliegenden
Bauernhöfen geschuftet habe.
Trotzdem konnte ich mir nur eine Mahlzeit am Tag leisten"


Folgt man dem ungeteerten Weg aus roter Erde ein Stück durch das Labyrinth aus Ständen, Shops und Wohnhäusern, kommt man zu einem weiteren Markt. Hier steht ein junger Mann hinter einer überdachten steinernen Theke und verkauft eine bunte Auswahl an Obst und Gemüse. Er kommt uns entgegen. Er trägt einen blauen Pulli, eine schwarze Hose, Gummistiefel und ein fröhliches Lächeln.

Ruanda, Flüchtlingslager Mahama
Foto: Veronika Wetzel | Der 23-jährige Ethan aus Burundi lebt seit sechs Jahren im Camp Mahama. Er verkauft hier Obst und Gemüse.

Der 23-jährige Ethan aus Burundi lebt seit sechs Jahren in dem Camp. Seit er das Training von Caritas durchlaufen hat, verkauft er sein eigenes Obst und Gemüse. „Früher war ich Leiharbeiter. Ich habe kaum geschlafen, weil ich bis spät in die Nacht und früh am Morgen auf den umliegenden Bauernhöfen geschuftet habe. Trotzdem konnte ich mir nur eine Mahlzeit am Tag leisten. Mein Leben ist jetzt einfacher: Ich kann inzwischen dreimal täglich essen und bekomme genügend Schlaf.“ Da er nun selbst sein Geld verdient, plant Ethan, nächstes Jahr aus dem Flüchtlingslager wegzuziehen.

Ruanda, Flüchtlingslager Mahama
Foto: Veronika Wetzel | Die 28-jährige Diella hat durch das Caritas-Projekt einen Kredit und Tipps bekommen, so dass sie nun einen eigenen Laden betreiben kann.

Gleich um die Ecke sitzt eine schwangere junge Frau in einem Laden, in dem Kochtöpfe bis unter die Decke gestapelt sind. Diella, so stellt sie sich vor, sie lächelt schüchtern. Die 28-Jährige ist ebenfalls aus Burundi. Sie hat bereits zwei kleine Kinder. „Es war früher nicht leicht, sie zu versorgen. Nur mein Mann hat gearbeitet.“ Durch das Caritas-Projekt habe sie einen Kredit und Tipps bekommen, wie sie einen eigenen Laden betreiben könne. Damit verdiene sie 200.000 bis 300.000 Ruanda-Francs im Monat. Das ist etwa so viel, wie eine Lehrkraft bekommt.


„Ich bin dankbar, Teil dieser Gruppe zu sein.
Ich kann jetzt selbst für mich
und meine Familie sorgen
und habe gelernt, wie man Geld spart“


Ein Stück abseits der Häuser im Schatten der gelb blühenden Akazien, die sich über das ganze Gelände ziehen, sitzen neun Erwachsene im Freien auf Holzbänken. Eine Mutter stillt ihr Baby. Die neu Hinzukommenden werfen Geld in drei kleine Plastikschüsseln auf dem Boden.

In eine Schale kommt das Geld für soziale Notfälle: wenn jemand krank ist oder ein Familienangehöriger stirbt. In eine andere Schale kommt das Geld, das auf die Bank gebracht wird. Hier wird deutlich mehr eingezahlt. Die Gruppe von 20 Leuten durchläuft aktuell das Caritas-Projekt. Gemeinsam lernen sie nicht nur mehr darüber, wie sie ihre Existenz sichern können; sie unterstützen einander durch die verschiedenen Geldtöpfe auch gegenseitig.

Das Geld, das auf der Bank liegt, wird an die Mitglieder ausgezahlt, wenn sie einen Kredit für erste Investitionen in ihr eigenes kleines Unternehmen benötigen und nicht genügend Geld von der Bank bekommen. Bisher wurden vier Millionen Ruanda-Francs eingezahlt, etwa 3 000 Euro. Jakob, 28, konnte durch die finanzielle Unterstützung aus den Rücklagen der Gruppe Schweine anschaffen. „Ich bin dankbar, Teil dieser Gruppe zu sein. Ich kann jetzt selbst für mich und meine Familie sorgen und habe gelernt, wie man Geld spart.“

Auf die Kritik zum Ruanda-Deal angesprochen, blickt man in ratlose Gesichter der vier Caritas-Mitarbeiter im Camp Mahama. „Für Flüchtlinge gibt es in Ruanda kein Problem. Sie können sich in Ruanda frei bewegen; sie können auch arbeiten“, beteuert Claire, die Evaluationsbeauftragte des Caritas-Projektes. Der Blick aus dem Autofenster scheint ihr recht zu geben: Es gibt Wasserspender, eine Schule, ein Jugendzentrum mit Pavillons im Garten und sogar eine Bibliothek mit Kulturzentrum. Maoura, ein anderer Mitarbeiter, stimmt zu: „Wir sind ein modernes Flüchtlingslager. Das beste in Afrika.“

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