Er ist auf den Plakaten mit drauf. Bundeskanzler Olaf Scholz präsentiert sich neben der Spitzenkandidatin Katarina Barley den Bürgern zu der Europawahl. Er wollte sich als Friedenskanzler in Szene setzen, will es wahrscheinlich immer noch. Das Ukraine-Problem mag noch so dringend sein, jetzt, nach dem Fanal von Mannheim muss er sich aber vor allem um den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland selbst kümmern.
Trotzdem gilt: Mitgefangen, mitgehangen. Oder besser: mitgeklebt. Wer sich in einem Wahlkampf so prominent plakatieren lässt, der macht den Urnengang automatisch auch zu einem Votum über seine Person. Und da scheint der Kanzler, völlig zu Recht, mit Blick auf Sonntag langsam Muffensausen zu bekommen.
Glaubt Scholz, dass die Bürger auf seine Verschleierungstaktik hereinfallen
So lässt sich erklären, dass er jetzt im Bundestag ankündigt, künftig sollten auch Schwerstkriminelle aus Afghanistan oder Syrien abgeschoben werden. Aufschlussreich ist dabei, wie der Kanzler das tut. Er stellt sich quasi neben die Bürger und gibt sich erschüttert. Wörtlich sagte er: „Es empört mich, wenn jemand schwerste Straftaten begeht, der hier bei uns Schutz gesucht hat.“
Glaubt der Kanzler wirklich, dass die Menschen auf diese Verschleierungstaktik hereinfallen. Denn die Frage ist doch: Ist der Kanzler erst jetzt empört? Das Problem besteht wahrlich nicht erst seit Mannheim. Und überhaupt Empörung: Der Kanzler soll den Bürgern keine Berichte über seinen Gefühlshaushalt abstatten, sondern er muss handeln. Die einzige Frage, die hier zu stellen ist: Warum ist nicht schon vor Monaten etwas geschehen?
Statt selbst den Empörten zu geben, sollte Olaf Scholz lieber einmal den Motiven für die Empörung in der Bevölkerung nachgehen. Wenn er tatsächlich das Ohr am Volk hätte, wüsste er: Jetzt ist die Zeit für eine große Rede, in der, das muss ja überhaupt nicht polemisch sein, endlich eine realistische und nüchterne Bilanz der in vielem fehlerhaften Migrationspolitik seit 2015 gezogen wird. Das könnte tatsächlich Vertrauen schaffen. Stattdessen gilt die Devise: Irgendwie durchwursteln bis Sonntag, entsprechend wird das Ergebnis für die SPD aussehen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.