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Klugheit im Ungewissen

In einer Zeit, die von wirtschaftlichen Turbulenzen, geopolitischen Machtspielen und politischem Chaos geprägt ist, hilft uns die Klugheit, richtig zu handeln.
Brille und Magazin
Foto: imago/Ulrich Roth | Mit Hilfe der Tugend der Klugheit lässt sich auch in ungewissen Zeiten ein kühler Kopf bewahren.

Unsere Zeit ist von großer Ungewissheit geprägt. Was gestern noch sicher erschien, wirkt heute brüchig. Machtspiele von Xi Jinping, Wladimir Putin und Donald Trump erschüttern uns ebenso wie das politische Chaos in Berlin. Mit einer Wirtschaft auf Talfahrt erodieren die Fundamente des bundesrepublikanischen Wohlstandsversprechens; dadurch geraten viele Selbstverständlichkeiten ins Wanken, die uns bisher Orientierung und Sicherheit gegeben haben.

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In solch ungewissen Zeiten bedarf es der Klugheit. Als eine der vier Kardinaltugenden ist sie die Voraussetzung, um tapfer, gerecht und besonnen handeln zu können. Wenn sich Zukunftsängste verbreiten, führt Klugheit aus der Erstarrung heraus. Wie beim Tennisspieler, der den unvorhersehbaren Aufschlag seines Gegners parieren muss, ist die Wendigkeit im Unvermuteten (Solertia) entscheidend. Es geht um die Ausbildung einer inneren Haltung, die uns befähigt, auch das Überraschende zu meistern.

Eine solche Wendigkeit bedarf der Umsicht (Circumspectio), die alle relevanten Umfeldaspekte erfasst. Wir kennen dies vom Radarsystem eines Schiffs, das Untiefen ebenso anzeigt wie entgegenkommende Objekte und den Kapitän dabei unterstützt, auf sicherem Kurs zu steuern. Wer auf hoher See unterwegs ist, weiß, dass Vorsicht (Cautio) Leben retten kann. Um Vorsicht walten zu lassen, ohne dabei lähmenden Ängsten zu erliegen, bedarf es der Einsicht (Intellectus) und der Berechnung (Ratio), wie die Dinge sind und liegen.

Aus der Vergangenheit lernen

Bei einem solchen Prozess des Abwägens hilft ein wahrheitsgetreues Gedächtnis (Memoria), um aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen und Fehler nicht zu wiederholen. Unsere Zeiten sind vor allem deshalb so herausfordernd, weil die Wucht der Veränderung immer größer wird. Deshalb ist eine kluge Voraussicht des Kommenden (Providentia) von immenser Bedeutung.

Damit ist kein spekulativer Blick in die Glaskugel gemeint, sondern eine vorausschauende Auseinandersetzung mit den Megatrends unserer Zeit, wie Klimawandel und Digitalisierung. Nun können wir nicht auf allen Gebieten Experten sein; umso mehr sollten wir uns Wissen beschaffen, damit wir Situationen richtig einschätzen und Entwicklungsszenarien formulieren können.

Liebe als verbindlicher Maßstab für Christen

Dazu bedarf es der Belehrbarkeit (Docilitas), das heißt einer Bereitschaft, sich etwas sagen zu lassen. Der kluge Mensch entwickelt deshalb eine Diskursfähigkeit, um dank der qualifizierten Argumente Anderer offene Fragen besser verstehen und beantworten zu können. In einem solchen argumentativen Austausch der Perspektiven ist auch die allgemeine Zustimmungsfähigkeit der Ziele zu überprüfen, die ich mit meinem klugen Handeln erreichen möchte. Für den christlichen Menschen ist die Liebe der verbindliche Maßstab. Aufzuzeigen, wie das Gebot der Liebe in einer moralwiderständigen Welt zumindest schrittweise verwirklicht werden kann, ist demnach der tiefste Sinn der Klugheit.

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