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Katholiken kritisieren Suizidpräventionsstrategie als unzureichend

Karl Lauterbachs Entwurf geht zu kurz: Katholisches Büro mahnt gesetzliche Regelung und verbindliche Finanzierungszusagen an.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach
Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen (www.imago-images.de) | Die nationale Suizidpräventionsstrategie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach reiche „inhaltlich bei Weitem noch nicht aus“, befand der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Karl Jüsten.

Der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Karl Jüsten, hat Kritik an der gestern von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Berlin vorgestellten „nationalen Suizidpräventionsstrategie“ geübt. Die Maßnahmen reichten „inhaltlich bei Weitem noch nicht aus“, befand Jüsten. Nach Ansicht des Leiters des Katholischen Büros in Berlin, der die deutschen Bischöfe bei der Bundesregierung vertritt, müssten noch „umfassende gesetzliche Regelungen und verbindliche Finanzierungszusagen folgen“.

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Der Deutsche Bundestag hatte Anfang Juli des vergangenen Jahres mit überwältigender Mehrheit den Antrag „Suizidprävention stärken“ (Bundestagsdrucksache 20/7630) verabschiedet. Darin forderte das Parlament die Bundesregierung auf, „bis zum 31. Januar 2024 dem Bundestag ein Konzept vorzulegen, wie zeitnah – zum Beispiel mit Mitteln des Nationalen Präventionsplans – bestehende Strukturen und Angebote der Suizidprävention unterstützt werden können“. Ferner forderten die Parlamentarier die Ampel auf, „bis zum 30. Juni einen Gesetzentwurf und eine Strategie für Suizidprävention vorzulegen, mit dem die Maßnahmen und Akteure koordiniert und eine dauerhafte sowie zeitnahe Umsetzung sichergestellt werden“. Der Gesetzentwurf solle dabei einen „Schwerpunkt auf die Prävention in den Alltagswelten legen“.

Lauterbach schlägt Errichtung einer bundesweiten Koordinierungsstelle vor

Das von Lauterbach vorgestellte 29-seitige und dem Bundestags-Haushaltsausschuss zugeleitete Strategiepapier sieht darin die Errichtung einer zentralen, bundesweiten Koordinierungsstelle vor. Diese soll unter anderem „betroffenen Menschen, deren Angehörigen und Fachkräften“ über eine Webseite „vertiefte Informationen zu Hilfeangeboten und zu Angeboten der Suizidprävention“ bieten, „Maßnahmen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und zur Enttabuisierung der Themen Sterben, Tod und Suizid initiieren“, „Schulungen für Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege entwickeln“ und gefährdete Personen „bei Bedarf effektiv in weitergehende Hilfs- oder Therapieangebote vermitteln“.

„Gemeinsam mit den Ländern“ soll die Koordinierungsstelle ein Konzept für die „Etablierung einer zentralen Krisendienst-Notrufnummer erarbeiten“. Diese solle Hilfesuchende „unmittelbar an die Hilfsangebote der Länder und Kommunen weitervermitteln“, ein „telefonisches und Online-Beratungsangebot für Angehörige und Fachkräfte“ einrichten sowie „das Monitoring von Suizidversuchen und Suiziden ausbauen“.

Kritik übte auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp. Die „Strategie des Bundes zur Suizidprävention liefert zwar erste wichtige Bausteine für die Stärkung der Prävention in Deutschland. Ein Strategieplan ersetzt aber keine gesetzlichen Regelungen“, erklärte Stetter-Karp. „Das ist zum Nachteil all jener, die dringend auf eine flächendeckend ausgebaute Beratung und Präventionsarbeit angewiesen sind.“ Das ZdK erwarte, „dass Herr Lauterbach bis zum Sommer ein Gesetz zur Suizidprävention vorlegt, wie es der Deutsche Bundestag im Juli 2023 mit großer Mehrheit gefordert hat. Diesen parlamentarischen Auftrag kann der Bundesgesundheitsminister nicht übergehen“, so Stetter-Karp weiter.

Bundesgesundheitsministerium sieht Männer besonders gefährdet

Aus Sicht des ZdK sei ein nachhaltiger Ausbau von professionellen sowie ehrenamtlichen Beratungs- und Hilfsangeboten wesentlich. Dazu zähle ein deutschlandweiter Präventionsdienst unter Einbezug von Telefonseelsorge, sozialpsychiatrischen Diensten und weiteren Versorgungseinrichtungen. Menschen mit Suizidgedanken und ihre Angehörigen sollten rund um die Uhr Anlaufstellen haben, die online und telefonisch erreichbar seien. Für Menschen mit schwersten, todbringenden Erkrankungen müsse auch das Palliativangebot ausgebaut werden.

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums, stagniere die Zahl der in Deutschland jährlich begangenen Suizide seit „etwa 2008“ auf „dem Niveau von 9.000 bis 10.000 Suiziden“. Dreiviertel aller Suizide würden dabei von Männern begangen. Besonders hoch ist die Suizidrate bei betagten und hochbetagten Menschen. Bei zwischen „50 bis 90 Prozent der Suizidopfer“ habe eine psychische Erkrankung vorgelegen, „häufig Depressionen, Psychosen, Suchterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen“.

Streit ums Geld: Bund gibt sich zugeknöpft

Suizidprävention kostet Geld. Bei diesem Thema gibt sich die nationale Suizidpräventionsstrategie erstaunlich zugeknöpft. So heißt auf Seite 10 des am Donnerstag vorgestellten Strategiepapiers: „Die öffentlichen Haushalte und die Haushalte der Sozialversicherungen werden durch dieses Strategiepapier nicht präjudiziert. Maßnahmen, die finanzielle Belastungen oder personelle Mehrbedarfe für den Bundeshaushalt zur Folge haben, präjudizieren weder die laufenden noch künftige Haushaltsverhandlungen. Etwaige Mehrbedarfe durch aufgeführte Maßnahmen oder daran anknüpfende zukünftige Maßnahmen können grundsätzlich nur dann durch den Bund finanziert werden, wenn ihm hierfür die Finanzierungskompetenz zusteht. Etwaige Mehrbedarfe im Sach- und Personalhaushalt sind dauerhaft und vollständig in den jeweils fachlich betroffenen Einzelplänen gegen zu finanzieren, über die in den jährlich stattfindenden Haushaltsverhandlungen zu entscheiden sein wird.“

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Im Januar hatte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, dazu aufgerufen, im Bundeshaushalt 2024 deutlich mehr Mittel für die Suizidprävention in Deutschland vorzusehen. „Gemeinsam mit vielen Fachexperten der Suizidprävention sieht es die Bundesärztekammer mit großer Sorge, dass die Suizidprävention im Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 offenbar nicht ausreichend berücksichtigt ist. Im Gegenteil scheint nicht einmal gewährleistet, dass die bisherigen Akteure und Strukturen vollständig erhalten bleiben“, so Reinhardt damals.

Bereits Ende Oktober hatten auch die in der Suizidprävention bislang tätigen Organisationen Alarm geschlagen. Im Bundeshaushalt 2024 seien keine Mittel für die Suizidprävention eingestellt, klagte der Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), Reinhard Lindner, auf einer Zoom-Pressekonferenz. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), der Deutschen Akademie für Suizidprävention (DASP) und Anbietern niederschwelliger Suizidpräventionsangebote wie der Telefonseelsorge Deutschland, fordert die NaSPro damals mindestens 20 Millionen Euro für die Suizidprävention bereitzustellen.  DT/reh

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