Mit Vollgas in den Abgrund: Seit Donnerstagnacht könnte das für viele Demokraten das Motto im Hinblick auf die US-Präsidentschaftswahl im November sein. Wer gehofft hatte, dem amtierenden Präsidenten Joe Biden könne mit einem fokussierten Auftritt in der TV-Debatte mit seinem republikanischen Herausforderer Donald Trump der Befreiungsschlag gelingen, wurde enttäuscht. Biden präsentierte sich derart verheerend, dass Trump nichts weiter tun musste, als seinem Gegner bei der Selbstzerstörung zuzusehen.
Und auch denjenigen, die Biden bislang stets verteidigt hatten, dämmert allmählich: Die These, dass Joe Biden in dieser Form die Wahl nicht gewinnen wird, sie ist nicht mehr allzu steil. Mag der 81-Jährige vor vier Jahren der geeignete Kandidat gewesen sein, um unter den besonderen Umständen der Covid-Pandemie eine weitere Amtszeit Trumps zu verhindern, muss man jetzt sagen: Biden ist nicht mehr derselbe wie vor vier Jahren. Man muss nicht jedes Social-Media-Video für bare Münze nehmen, das Bidens Pannen und Versprecher zusammengeschnitten in verzerrtem Licht darstellt. Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Demokrat deutlich älter, schwächer, fahriger wirkt – und genau diesen Eindruck im TV-Duell noch unterstrichen hat.
Nur Biden selbst kann sich aus dem Rennen nehmen
Nun kann man einwenden, die Debatte zeige nur eine Momentaufnahme und bis zur Wahl gehe noch viel Zeit ins Land. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass einem Kandidaten eine Momentaufnahme auf die Füße fällt und ihn letztendlich aus dem Rennen nimmt. Bestes Beispiel ist der legendäre US-Präsident Ronald Reagan, der schon 1984 in der Debatte mit seinem Herausforderer Walter Mondale auf sehr souveräne Weise Vorwürfe abbügelte, er sei mit 73 Jahren zu alt für das Präsidentenamt. Mondale gestand später, von da an gewusst zu haben, dass die Wahl verloren sei.
Wenn Biden nun eine ehrliche, kritische Selbstanalyse betreiben würde, könnte er zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangen – und in der Konsequenz die Schlussfolgerung ziehen, für einen jüngeren Kandidaten das Feld zu räumen. Natürlich bleibt es eine riskante Wette, ob ein so spontaner Wechsel des Kapitäns das Schiff noch vor dem Untergang bewahren könnte. Angesichts des jetzigen Scherbenhaufens sollten die Demokraten es vielleicht wirklich wagen. Das Problem nur: Das letzte Wort hat Biden selbst. Und der Präsident, der von Weggefährten manchmal auch als sehr stur und von sich selbst überzeugt beschrieben wird, wird kaum zu diesem Schritt zu bewegen sein. Dass er mit seinem Klammern ans Amt genau das befördern könnte, was er unbedingt verhindern möchte – eine zweite Amtszeit Trumps – scheint er nicht zu sehen.
Putin wird profitieren
Weltpolitisch sind das keine guten Aussichten. Der russische Präsident Wladimir Putin kann sich getrost in dem Wissen zurücklehnen, dass er es bis November mit einer „lame duck“, einem stark geschwächten Joe Biden, zu tun hat – und danach mit Trump womöglich ein Verhandlungspartner im Weißen Haus sitzt, dem die Belange der Ukraine sehr viel weniger am Herzen liegen als Biden. Und auch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wird sich kaum in den nächsten Monaten auf einen von der Biden-Regierung entworfenen Friedensplan für den Nahen Osten einlassen, wenn absehbar scheint, dass der US-Präsident schon bald wieder Trump heißt. Mit dem konnte Netanjahu schon in der Vergangenheit besser als mit Biden.
Der einzige Vorteil im Vergleich zu Trumps Wahlsieg 2016: Man kann sich bereits jetzt darauf einstellen, was ab November kommt. Insbesondere die Europäer, noch immer stark von der militärischen Führung der USA abhängig, sollten sich dies zu Herzen nehmen. Unterm Strich aber nur ein schwacher Trost.
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