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Hat alles eine Ursache?

Wie die Quantenphysik das materialistische Weltbild zum Einsturz bringt und warum Meta-Erzählungen wichtig bleiben.
Polarlichter über einem schneebedeckte Gebirgszug in Norwegen
Foto: IMAGO/Andreas Strauß (www.imago-images.de) | Das Universum ist ein geheimnisvoller Ort, den der Mensch nur langsam und mit viel Aufwand erschließen kann.

Von nichts kommt nichts." "Ohne Fleiß kein Preis." "Übung macht den Meister." Generationen von Schülern haben solche Sätze von ihren Lehrern gehört. Auch wenn Schüler das naturgemäß oft anders sehen, treffen sie doch zu. Verbirgt sich hinter solchen Sätzen doch eine Gesetzmäßigkeit, die für jeden täglich, unzählige Male erfahrbar ist. Sie lautet: "Keine Wirkung ohne Ursache." 

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Beobachtungen setzen einen Beobachtenden, Gesetze einen Gesetzgeber, Ordnung einen Ordnenden voraus. Und selbst wenn eine Ursache für uns schwer oder gar nicht zu ermitteln ist, glauben wir doch zu wissen, dass es sie geben müsse. Sich selbstschreibende Texte, sich selbstdeckende Tische oder sich selbstschmückende Maibäume gibt es eben nur in Märchen. Nun könnte man meinen, dass wenn es sich so verhält, und alles eine Ursache hat, die Welt letztlich keine für den Menschen unlösbaren Rätsel enthält. Doch das ist ein Irrtum. Auch wenn die Entdeckung des Kausalitätsprinzips durch Platon (428 – 347 v. Chr.) der Menschheit zweifellos viele Einsichten und Erkenntnisfortschritte und im weiteren Verlauf der Geschichte ein hohes Maß an Naturbeherrschung ermöglicht hat, so stellt es unter anderer Hinsicht gewissermaßen erst den Anfang von Problemen dar. 

Bereits Platons Schüler Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) unterschied vier Arten von Ursachen: Formursache (causa formalis), Stoffursache (causa materialis), Wirkursache (causa efficiens) und Zweckursache (causa finalis). Im dritten Kapitel des zweiten Buches seiner "Physik" entfaltet Aristoteles sie am Beispiel einer Statue. Danach ist die Formursache der Plan oder die Idee des Bildhauers; die Stoffursache der Steinblock, aus dem die Statue gehauen wird; die Wirkursache der Bildhauer selbst und die Zweckursache die Verehrung des Kriegshelden, dem der Bildhauer mittels der Statue ein Denkmal setzen soll.

Die Verarmung des Ursachenbegriffs

Im Zuge des britischen Empirismus hat die Neuzeit Aristoteles Unterscheidungen aufgegeben. Übrig blieb allein die Wirkursache, die heute in der Regel als etwas Materielles betrachtet wird. Demnach "bewirkt" angeblich ein Teleskop, dass wir inzwischen selbst Lichtjahre entfernte Himmelskörper zu Gesicht bekommen. Das ist natürlich Unfug. Denn eine bloße Ansammlung von Metall und (beschichtetem) geschliffenem Glas "bewirkt" rein gar nichts. In Wirklichkeit hat auch hier der Entwickler des Teleskops einen Plan verfolgt (causa formalis) und deshalb Linsen oder Spiegel (je nach Art des Teleskops) in einer ausgetüftelten Reihenfolge und Abständen so angeordnet (causa materialis), dass das auftreffende Licht (causa efficiens) einem Beobachter die Anschauung von Lichtjahren entfernten Objekten ermöglicht (causa finalis). 

Dennoch können wir nicht jede Wirkung auf eine Ursache zurückführen. Zumindest nicht mit letzter Sicherheit. Folgt man dem heiligen Thomas von Aquin (1224/25 – 1275), der die Ursachenlehre des Aristoteles in sein eigenes Werk integrierte, dann sind ein heißer Kandidat für unser Unvermögen, jede Wirkung auf eine Ursache zurückzuführen, die anthropologischen Limitierungen, denen wir als Menschen unterworfen sind. "Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensu" (dt: Nichts ist im Verstand, das nicht zuvor in den Sinnen war), dekretiert der Aquinat. Und wie wir durch experimentelle Messungen längst wissen, vermögen wir naturhaft durch unsere Sinne tatsächlich lediglich einen Ausschnitt der Welt wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Unsere Augen, unsere Ohren, unser Tast-, Geruchs- und Geschmacksinn sind zu "träge", um die ganze Wirklichkeit, die uns umgibt, wahrnehmen zu können.

Die unsichtbare Welt der Physik

Das für den Menschen sichtbare Licht etwa bewegt sich in einem Wellenlängenbereich von rund 380 bis 750 Nanometern. Für den Menschen hörbare Töne halten sich in einem Frequenzbereich von rund 20 bis 20.000 Hertz auf. Mit Mikroskopen, Teleskopen und Detektoren können wir jedoch der für uns an sich "unsichtbaren Welt", von der auch im "Apostolischen Glaubensbekenntnis" die Rede ist, längst Informationen abringen, für die unsere natürlichen Sinne nicht fein genug justiert sind. Dank solcher Prothesen wissen wir nicht nur um die Existenz von Infrarot-, Ultraviolett-, Röntgen- und Gammastrahlung sowie von Infra- und Ultraschall, wir können uns diesen Teil der unsichtbaren Welt, etwa in der Medizin, auch zunutze machen. Dennoch gilt: Wie groß der Teil dessen ist, den wir auch mittels ausgeklügelter Technik nicht wahrnehmen können, wissen wir nicht. Selbst wenn wir uns dabei bisweilen ziemlich clever anstellen. 

Beispiel: "dunkle Materie" und "dunkle Energie". Berechnungen zufolge besteht das sich ständig weiter in Ausdehnung begriffene Universum nur zu etwa fünf Prozent aus von uns beobachtbarer Materie (Galaxien, Nebel, Sterne, Planeten) und Energie. Bei den restlichen 95 Prozent handelt es sich zu etwa 27 Prozent um "dunkle Materie" und zu etwa 68 Prozent um "dunkle Energie". Als "dunkle Materie" wird eine uns völlig unbekannte Form von Materie bezeichnet, die sich von uns nicht direkt beobachten lässt (daher "dunkel"), auf deren Existenz aber aus beobachtbaren Gravitationseffekten geschlossen wird. Die Annahme zusätzlicher Massen, eben jener "dunklen Materie", erscheint aber auch aus einem anderen Grund notwendig zu sein. Denn ohne sie müsste es, wie Computersimulationen zeigen, bis zur Herausbildung der heute beobachtbaren Strukturen sehr viel länger gedauert haben als jene 13,7 Milliarden Jahren, mit denen heute das Alter des Universums angegeben wird. 

Auch die Existenz "dunkler Energie" lässt sich nur indirekt nachweisen. Theoretisch hätte sich die Expansionsgeschwindigkeit des Universums nach dem Urknall aufgrund der gegenseitigen Massenanziehung kontinuierlich verringern müssen. Nach der heute akzeptierten Modellvorstellung muss dies auch anfänglich der Fall gewesen sein. Vor einigen Milliarden Jahren nahm die Expansionsgeschwindigkeit jedoch wieder zu. Ohne zusätzliche Energie ist das aber unmöglich. Woher diese stammt, ist unbekannt. Doch lässt sich die Menge, die notwendig ist, um die zunehmende Expansionsgeschwindigkeit zu erklären, errechnen. Umgerechnet in Masse, mache sie etwa rund "zwei Drittel der Substanz des Universums" aus, schreibt der deutsche Physiker Gerd Ganteför in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Werk "Das rätselhafte Gewebe unserer Wirklichkeit und die Grenzen der Physik".

Beispiel Quantenphysik: Mit der Entdeckung des "Wirkungsquantums" als neuer fundamentaler Naturkonstante durch Max Planck (1900), der Erklärung des "Photoeffekts" durch Albert Einstein (1905) und der Ausdehnung des "Welle-Teilchen-Dualismus" des Lichts auf die gesamte Materie durch Louis de Broglie (1924) werden bis dato für sicher geglaubte Grundsätze wie der, dass die Natur keine Sprünge macht oder ein Objekt nicht gleichzeitig an zwei Orten sein kann, über den Haufen geworfen. Mit dem Ausbau der Quantenphysik durch Werner Heisenbergs Quantenmechanik (1925) und Erwin Schrödingers Wellenmechanik (1926), Heisenbergs "Unschärferelation" (1927) und der auf ihr basierenden "Kopenhagener Deutung" tritt der fundamentale Bruch mit dem "lokalen Realismus" der klassischen Physik, den Einstein vergeblich zu verteidigen suchte, deutlich hervor. 

"Spukt" es im Universum?

Inzwischen zeigen tausendfach wiederholte Versuche, wie das berühmte "Doppelspalt-Experiment" oder die erfolgreiche Teleportation von "verschränkten" Teilchen durch Alain Aspect und Anton Zeilinger, die 2022 gemeinsam mit John Clauser den Nobelpreis für Physik erhielten, dass einmal miteinander in Verbindung gestandene Quantenobjekte eine Einheit bilden und auch über beliebig große Distanzen hinweg unmittelbar miteinander agieren. Das Phänomen der "spukhaften Fernwirkung" (Einstein), die zur Spekulation über verborgene, höhere Raumdimensionen geradezu einlädt, ist für die klassische Physik unerklärbar. 

Eigentlich erfordern die Erkenntnisse der Quantenphysik es, dass wir uns ein völlig anderes Bild von der Welt, die uns umgibt, machen, als die Physik des 19. Jahrhunderts es nahelegte. So bedeute die Entdeckung der nicht-lokalen Kausalität nach Ansicht des Physikers Antoine Suarez, dass die Vorstellung, der Grund für eine Erscheinung könne nur eine andere Erscheinung sein, an ihr Ende gekommen sei. Laut Suarez ähneln die mathematischen Gebilde heutiger physikalischer Theorien "platonischen Ideen, die aber nach der Weise der aristotelischen Ursachen" wirkten. Wie auch immer: Schien es lange Zeit so, als würde der angenommene Dualismus von Geist und Materie durch die Physik zugunsten der Materie entschieden, so weist das Pendel seit rund hundert Jahren unaufhörlich in die andere Richtung. "Information ist der fundamentale Baustein des Universums", schreibt der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger in "Einsteins Spuk". Und der ungarische Physik-Nobelpreisträger Eugene Wigner (1902 – 1995) meinte gar: "Geist ist die grundlegende Realität."

Christen mag das nicht überraschend. Nach der Zwei-Bücher-Lehre des heiligen Augustinus ("doctrina duorum librorum"), auch bekannt als "duplex via", offenbart sich Gott den Menschen durch das "Buch der Schrift" (Bibel) und durch das "Buch der Natur" (Schöpfung). Sogenannte Meta-Erzählungen, die von den Vordenkern der Postmoderne auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt wurden und zu denen auch die Schöpfungsberichte zählen, haben daher auch in säkularen Wissensgesellschaften keineswegs ausdient. Sie dürfen weiterhin, eher mehr als früher, als legitimer Versuch betrachtet werden, sich einen Reim auf Dinge zu machen, die sich jenseits des für uns Erkennbaren aufhalten. "Glaube und Vernunft sind" eben, wie der heilige Papst Johannes Paul II. in "Fides et ratio" schreibt, "wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt".

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