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Warum immer weniger Kinder?

Ein neuer Bericht zur Fruchtbarkeit in den OECD-Ländern wirft ein besorgniserregendes Licht auf die Entwicklung der Geburtenrate und fragt nach Gründen, die Menschen vom Kinderkriegen abhalten.
Familie mit zwei Kleinkindern
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Familien bekommen immer weniger Kinder. Eine Studie untersucht die Gründe.

Der Geburtenrückgang in den OECD-Ländern wird große Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand haben. Zu dem Ergebnis kommt der neue OECD-Bericht „Gesellschaft auf einen Blick“ mit dem Schwerpunkt Geburtenentwicklung. Damit bestätigt die OECD mehrere Studien, die in den ersten Monaten dieses Jahres erschienen sind. Was kann jedoch die Politik dafür tun, um potenzielle Eltern dazu zu ermutigen, Kinder zu bekommen? Hier kommt der Bericht zu keinen eindeutigen Ergebnissen, da eine Vielzahl von Faktoren zu beachten sind. Dazu gehören wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit, die Kosten für Kinderbetreuung und -erziehung, die Situation auf dem Arbeitsmarkt, das gesellschaftliche und familienpolitische Umfeld und nicht zuletzt persönliche Faktoren. 

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Zwar ist in den OECD-Ländern bereits seit den 1960er Jahren ein langfristiger Rückgang der Fruchtbarkeitsrate zu verzeichnen, sie fiel aber 2022 im OECD-Durchschnitt auf 1,5 Kinder pro Frau. Damit liegt sie weit unter dem Schwellenwert von 2,1 Kindern, den es bräuchte, um die Bevölkerungszahlen auf konstantem Niveau zu halten. Mit 2,9 Kindern pro Frau ist Israel Spitzenreiter unter den OECD-Ländern, gefolgt von Mexiko und Frankreich mit je 1,8 Kindern pro Frau. Am niedrigsten fällt die Geburtenrate in Europa in Italien und Spanien mit 1,2 Kindern pro Frau aus, das Schlusslicht der OECD-Länder bildet Korea mit geschätzten 0,7 Kindern pro Frau im Jahr 2023. In allen OECD-Ländern wächst außerdem die Zahl der Kinderlosen.

Gestiegenes Bildungsniveau

Für die sinkenden Geburtenzahlen macht die OECD vor allem das gestiegene Bildungsniveau der Frauen, einen besseren Zugang zu wirksamen Verhütungsmitteln, gestiegene Wohnkosten und eine veränderte Einstellung zur Elternschaft verantwortlich. Junge Männer und Frauen fänden, so der Bericht, „zunehmend einen Sinn im Leben außerhalb der Elternschaft“, gleichzeitig wachse die Akzeptanz für Kinderlosigkeit. Außerdem seien die normativen Anforderungen an „gute Elternschaft“ gestiegen, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in nicht-materieller, was ebenfalls dazu führe, dass man sich heute für weniger oder ganz gegen Kinder entscheide. Eine aktuellere Ursache sei die rasche Abfolge globaler Krisen, die „möglicherweise ein Gefühl der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit verbreitet, das einige potenzielle Eltern dazu veranlasst, das Kinderkriegen zu verschieben oder sich sogar ganz dagegen zu entscheiden“. 

Als vielleicht wichtigsten langfristigen Trend mit Auswirkung auf die Geburtenrate nennt der Bericht die zunehmende Gleichstellung von Frauen. Die OECD hält in diesem Zusammenhang einen direkten, mittlerweile positiven Zusammenhang zwischen weiblicher Erwerbsbeteiligung und Geburtenrate fest: Dort, wo die Beschäftigungsquote von Frauen in der Vergangenheit zu weniger Geburten geführt habe, habe sich der Zusammenhang durch gewachsene Möglichkeiten der Vereinbarung von Familie und Beruf heute umgekehrt: Wo Frauen heute in der Lage seien, Familie und Arbeit zu vereinbaren, führe dies zu besseren wirtschaftlichen Ergebnissen und höheren Geburtenraten. Des Weiteren wirkt sich die Dauer von bezahltem Mutterschaftsurlaub und Elternzeit positiv auf die Fruchtbarkeitsrate aus. Dies gilt jedoch vor allem dann, wenn die Leistungen während der Elternzeit großzügig genug sind.

Maßnahmen helfen nicht

In Bezug auf die Effektivität politischer Maßnahmen bleibt der Bericht jedoch etwas ratlos, denn in vielen Ländern, in denen die Politik familienfördernde Maßnahmen – bezahlter Elternurlaub, „frühkindliche Bildung und Betreuung“ – unterstütze, seien die Geburtenraten ebenfalls gesunken. Lediglich in Ungarn seien die Geburtenraten in den letzten zehn Jahren durch höhere Ausgaben für Familienleistungen signifikant angestiegen.

„Es liegt auf der Hand, dass arbeits- und familienpolitische Maßnahmen allein nicht ausreichen, um die länderübergreifenden Unterschiede bei den Fruchtbarkeitsziffern zu erklären“, hält der OECD-Report daher fest. Er rät den Ländern, die Gleichstellung von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern und das Thema Finanzen, vor allem Wohnkosten, in den Mittelpunkt zu rücken, dämpft aber die Erwartungen an solche Maßnahmen. Der Knackpunkt ist und bleibt – zu dem Ergebnis kommt auch die OECD – dass sich die Einstellung zu Kindern verändert hat, worauf auch die Familienpolitik nur begrenzt einwirken kann.

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Themen & Autoren
Franziska Harter

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