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NER-Kongress: Die eigene Fruchtbarkeit integrieren

Jenseits von Kondom, Pille und Spirale: Der Jahreskongress des NER-Instituts beleuchtet verschiedene Aspekte der Natürlichen Empfängnisregelung.
Natürlichen Empfängisregelung:  Paare können ihre Fruchtbarkeit selbst in die Hand nehmen
Foto: Yuri Arcurs peopleimages.com

Unsicher, kompliziert, nicht lebbar: Die Natürliche Empfängnisregelung hat nicht den besten Ruf – vor allem bei denen, die sie nie ausprobiert haben. Das hat Gründe, beim genaueren Hinsehen vor allem ideologische. Denn aus medizinischer Sicht ist seit Langem klar: Natürliche Empfängnisregelung „funktioniert“, wenn damit gemeint ist, dass die Frau durch eine genaue Beobachtung des eigenen Körpers präzise feststellen kann, wann ihre fruchtbaren und unfruchtbaren Zeiten im Laufe des Zyklus sind. Tatsächlich ist dies für Paare, die etwa aus medizinischen Gründen keine Schwangerschaft riskieren können, neben völliger Enthaltsamkeit sogar der einzig gangbare Weg, denn keine einzige Verhütungsmethode kann die Entstehung eines Kindes zu 100 Prozent ausschließen. 

Seit Dezember 2023 stufen auch die Deutsche, Österreichische und Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in einer Leitlinie zur nicht-hormonellen Empfängnisverhütung Methoden der natürlichen Empfängnisregelung als sicher und effektiv ein. Doch hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Denn die Natürliche Empfängnisregelung (NER) ist viel mehr als die Vermeidung eines Kindes – um nicht zu sagen, das genaue Gegenteil. Es ist eine Lebenseinstellung, die Fruchtbarkeit nicht als Feind sieht, den es zu bekämpfen gilt, sondern als integralen Bestandteil der menschlichen Person und Bereicherung der Paarbeziehung und -sexualität.

Fruchtbarkeit nicht bekämpfen, sondern integrieren

Worum es bei dieser Lebensweise wirklich geht, dazu befragt man am besten die, die sie praktizieren. Die Gelegenheit dazu bot sich beim jährlichen Kongress des Instituts für Natürliche Empfängnisregelung Rötzer (INER), der dieses Jahr im Gästehaus der Schönstatt-Bewegung in Vallendar bei Koblenz stattfand. Der österreichische Arzt Josef Rötzer entwickelte ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die erste echte symptothermale Methode zur Zyklusbeobachtung und prägte dafür den Begriff der Natürlichen Empfängnisregelung – in Abgrenzung von Geburtenregelung, Familienplanung oder gar Verhütung. Die Methode kombiniert die tägliche Messung der Aufwachtemperatur mit der Selbstbeobachtung verschiedener anderer Parameter durch die Frau. 

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Rötzers Tochter Elisabeth leitet das nach ihm benannte Institut und zeichnete beim Kongress den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess nach, der Rötzer dank der Zyklusbeobachtungen seiner Frau Margareta und der Mitarbeit zahlreicher anderer Frauen hin zu der ausgefeilten Methode geführt hat, mit der Frauen in allen Lebenslagen von der Stillzeit bis zum Kinderwunsch ihren Zyklus zuverlässig beobachten können. Das Institut verfügt über das größte Archiv an Zyklusaufzeichnungen der Welt und sucht aktuell nach einem Weg, die über 400.000 Dokumente zu digitalisieren und weiteren wissenschaftlichen Studien zur Verfügung zu stellen. Auf dem Jahreskongress halten sich die NER-Berater, die Paare in der symptothermalen Methode schulen und begleiten, über den neuesten Stand in Forschung und Medizin auf dem Laufenden.

Eine echte Frauenfrage

 Für eine Kongress-Teilnehmerin ist NER eine Frage der weiblichen Selbstbestimmung: Ganz unabhängig von der persönlichen Weltanschauung und konkreten Paarsituation könne eine Frau von Männern erwarten und verlangen, dass diese ihren Körper respektieren, inklusive des Zyklus. „In den Mythen muss der Ritter erst einen Drachen töten und dessen Kopf als Trophäe mitbringen, um die Prinzessin zu erobern. Und heute sollen Frauen ständig und überall verfügbar sein?“, lacht die langjährige NER-Beraterin. 

Auch Kati Gabathuler stimmt dem zu: „NER ist eigentlich das Feministischste, was man tun kann!“ Mit ihrem Mann Walter leitet sie die Schweizer und Liechtensteiner Landesstelle des Instituts für Natürliche Empfängnisregelung. „Warum hat uns das niemand früher gesagt?“, war die erste Reaktion des Paares, als sie in den 80er Jahren die Rötzer-Methode kennenlernten und nach einem Kurs bei Josef Rötzer selbst mit wachsender Begeisterung anwandten. „Für die Medizin ist die natürliche Empfängnisregelung nicht interessant“, ist Katis augenzwinkernde Erklärung für die geringe Verbreitung. „Die Frauen, die sie anwenden, leben viel zu gesund, man kann ihnen halt nichts verkaufen.“ Das war dann auch die Motivation für das Paar, als ehrenamtliche Berater selbst Paare in NER auszubilden und zu begleiten. Die Begeisterung, mit denen die beiden über die NER sprechen, lässt es spüren: Hier hat jemand etwas Lebensveränderndes erfahren und möchte es mit anderen teilen. Und der Andrang ist groß. Immer wieder hören die beiden den gleichen Satz: „Warum hat uns das niemand früher gesagt?“

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Das gilt für die Frau, für die eine Schwangerschaft lebensgefährlich wäre und deren Ehe fast an den – vor NER – zu seltenen Sexualkontakten gescheitert wäre, ebenso wie für das Paar, das seit Langem verzweifelt versucht, ein Kind zu bekommen.
Es fällt auf, dass ebenso viele Männer wie Frauen den Kongress besuchen. Die NER-Beratung ermutigt Männer, die Kurse gemeinsam mit ihren Partnerinnen zu absolvieren. Denn: Da, wo Verhütung in der Regel entweder Sache der Frau (Pille) oder Sache des Mannes (Kondom) ist, liegt die Natürliche Empfängnisregelung in der Verantwortung des Paares. Wenn Walter also lachend sagt: „Das ist auch mein Zyklus“, meint er damit nicht, dass Angehörige aller Geschlechter menstruieren können. 

Verbesserte Paarkommunikation

Für die Gabathulers ist die NER vor allem ein Weg der Freiheit: „Man hat es eben komplett selbst in der Hand: Es liegt an uns, entweder enthaltsam zu leben, weil wir im Moment keinen Kinderwunsch haben oder im Gegenteil genau die Tage zu finden, an denen man schwanger werden kann.“ Unter dem Stichwort „Fortpflanzungsfreiheit“ wird heute all das zusammengefasst, was die Zeugung eines Kindes entweder verhindert oder mit künstlichen Mitteln erreichen will. Beides macht das Paar jedoch abhängig – von Ärzten, Medikamenten und nicht zuletzt dem eigenen Kontostand. Für die Gabathulers ist daher klar: Echte Freiheit bekommt man nur mit der natürlichen Methode. „Nicht Getriebener sein, sondern frei in Verantwortung handeln lernen“, so drückte Josef Rötzer es aus.

Beziehungen, die NER leben, sind Beziehungen, die gelingen. Das fand 2008 das österreichische Ärztepaar Walter und Michaela Rhomberg in einer Studie im Auftrag des Referates für Ehe und Familie der Erzdiözese Salzburg heraus. Während die gesamtgesellschaftliche Scheidungsrate 2007 in Österreich bei 48 Prozent lag, betraf die Scheidungsrate bei Paaren, die NER praktizieren, nur 3 Prozent. Selbst bei Paaren ohne religiöse Praxis lag sie lediglich bei 12 Prozent. Kati und Walter Gabathuler erklären das vor allem mit der Paarkommunikation, die durch NER signifikant verbessert werde. „Durch die Zyklusbeobachtung ist das Paar darauf angewiesen, über sehr intime Dinge im Gespräch zu bleiben. Das sind viele Paare gar nicht gewohnt und es bringt automatisch einander näher“, überlegt Kati. Die so erlernte gegenseitige Rücksicht schlage sich auf alle anderen Lebensbereiche nieder. „Paare, die NER praktizieren, gehen anders miteinander um“, fasst ihr Mann zusammen.

Größtes Geschenk für die Beziehung

 Auch die so oft misstrauisch beäugte Enthaltsamkeit scheint die Paarbeziehung mehr zu entfalten als zu hemmen, auch wenn es immer wieder eine Herausforderung sein kann, für eine gewisse Zeit auf Sexualkontakte zu verzichten. Das bestätigt auch der erste Vorsitzende des Instituts für Natürliche Empfängnisregelung, Thomas Einwaller. „Enthaltsamkeit? Kann ich mir nicht vorstellen“, sei oft die erste Reaktion von Paaren. „Doch wenn das Paar nach einigen Monaten oder sogar Jahren zurückblickt, dann merkt es meist: Die zeitweise Enthaltsamkeit ist eines der größten Geschenke für die Paarbeziehung“, so der langjährige NER-Berater. „Es ist faszinierend und sensationell, wie Paare, die früher verhüteten, durch die natürlichen Empfängnisregelung zu einer Freude in der Sexualität finden, die sie noch nicht einmal am Beginn ihrer Beziehung hatten“, ergänzt einer von Einwallers Kollegen. Die zeitweise Unverfügbarkeit des Partners, das Warten aufeinander, die wachsende Sehnsucht nacheinander, all das erhalte das Besondere der Sexualität in einer Beziehung und helfe den Paaren dabei, sich immer wieder neu gegenseitig als Geschenk zu empfangen. Und nicht zuletzt: „Mit der Zeit der periodischen Enthaltsamkeit muss das Paar etwas anfangen. Und da beginnt man plötzlich, kreativ zu werden.“

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Thomas Einwaller und seine Frau entdeckten die Natürliche Empfängnisregelung gerade zu dem Zeitpunkt, als Thomas sich anschickte, aus der Kirche auszutreten. Einer seiner Kritikpunkte war damals: „Die Kirche ist gegen Verhütung, hat aber keine Lösungen parat.“ Über einen kirchlichen Ehevorbereitungskurs entdeckte das Paar schließlich die NER – „Und die hat unser Leben maßgeblich verändert, zum Positiven“, so Einwaller. Aus der Kirche austreten war seitdem kein Thema mehr. „Wir haben gesehen, welch unglaubliche Bereicherung die NER für uns als Paar war. Deshalb ist es uns heute ein so großes Anliegen, dieses Wissen weiterzugeben.“

Unabhängig von der Weltanschauung

Warum die Katholische Kirche die Natürliche Empfängnisregelung nicht stärker als unschätzbare Ressource für eine gelingende Ehe bekannt macht, ist dem Österreicher ein Rätsel. NER ist zunächst eine Methode, die mit kirchlicher Sexualmoral nichts zu tun hat und Paaren unabhängig von ihrer individuellen Weltanschauung eine sichere und gesunde Art und Weise an die Hand gibt, mit ihrer Fruchtbarkeit umzugehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie von einem katholischen Arzt entwickelt wurde, der explizit einen Weg aufzeigen wollte, die katholische Lehre von Ehe und Sexualität zu leben.

„Wenn die Lehre wahr ist, muss sie auch lebbar sein“, so der Grundgedanke Josef Rötzers. Damit kam er jedoch den Verfassern der Königsteiner Erklärung in Deutschland und der Mariatroster Erklärung in Österreich in die Quere: Jene erklärten nämlich ihre Ablehnung der Päpstlichen Enzyklika „Humanae Vitae“ mit der angeblichen Unlebbarkeit der kirchlichen Lehre. Eine wissenschaftlich gesicherte Methode der Geburtenkontrolle im Einklang mit der katholischen Lehre kam da eher ungelegen. Das konnte Papst Johannes Paul II. 1980 nicht davon abhalten, Josef Rötzer zur Familiensynode nach Rom einzuladen und die Natürliche Empfängnisregelung zum Bestandteil der Theologie des Leibes zu machen. Doch bis heute sucht man auch in kirchlichen Ehe- und Familienberatungen im deutschsprachigen Raum meist vergeblich nach Angeboten zur Natürlichen Empfängnisregelung. Ein Zustand, der dringend geändert werden muss, meint Thomas Einwaller: „Wir müssen den Leuten nichts aufdrängen, aber sie sollen wissen, dass NER existiert! Daher sage ich bei unseren Seminaren immer: Was ihr nun für euer Leben entscheidet, ist eure Sache. Aber ihr könnt nicht mehr sagen, ihr hättet es nicht gewusst!“

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