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Von Fußballpatrioten und Erfolgsfans

Für Migranten und ihre Kinder kann der Fußball zum Loyalitätstest werden. So geht es zumindest unserem Autor. Doch er hat einen Tipp.
Fans der dänischen Fußball-Nationalmannschaft
Foto: IMAGO/Grant Hubbs (www.imago-images.de) | Besonders durstigen dänischen Fans gelang es, den gesamten Bierbestand eines großen Biergartens, immerhin rund 4.000 Liter, leerzutrinken.

Als die dänischen Fans vor ihrem ersten Spiel durch meine Heimat Stuttgart zogen, sorgten sie für rundum gute Stimmung. Wie nicht nur der Lokalpresse zu entnehmen war, gelang es den durstigen Nordländern, den gesamten Bierbestand eines großen Biergartens, immerhin rund 4.000 Liter, leerzutrinken – und zwar ohne, dass die von reichlich Gerstensaft angetriebene Fanparty in Randale ausgeartet wäre. Auch sonst waren die Dänen für Lacher gut. Mein Sohn etwa berichtete mir von einem dänischen Fan in der U-Bahn, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Make Sweden Danish again“ getragen habe.

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Einen solchen Spruch hätte mein früheres Ich vermutlich reichlich „problematisch“ gefunden. Denn aus meinen linken Jugendjahren – ja, auch „Tagespost“-Redakteure können eine dunkle Vergangenheit haben – ist mir noch die Warnung in Erinnerung, Fußballländerspiele befeuerten Chauvinismus und Nationalismus.

Natürlicher und gesunder Ausdruck der Vaterlandsliebe

Sicher, es gibt unter fanatischen Ultras auch gewaltbereite Asoziale, die zwar an Tritten interessiert sind, aber eigentlich nur, wenn diese gegen Menschen und nicht gegen Bälle gehen. Alles in allem ist die leidenschaftliche Identifikation mit der eigenen Nationalmannschaft aber ein ebenso natürlicher wie gesunder Ausdruck der Vaterlandsliebe – Frotzeleien unter Brüdervölkern ausdrücklich miteingeschlossen.

Für Migranten und ihre Kinder kann der Fußball allerdings zu einer Art Loyalitätstest werden. So zumindest geht es mir als Sohn ungarischer Einwanderer. Für wen soll ich sein, wenn morgen Deutschland und Ungarn in Stuttgart aufeinandertreffen? Ungarns Torhüter Péter Gulácsi, der bei RB Leipzig unter Vertrag steht, hat im Vorfeld bereits angekündigt, die ungarischen Fans würden für magyarische Heimspielstimmung sorgen. Noch schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Spätestens der Anpfiff wird, so hoffe ich, für Klarheit sorgen.

Das Schöne am Fußball ist jedoch auch: Wie wichtig er ist, hängt davon ab, wie ernst man ihn nimmt. Bevor ich mir vom morgigen Spielverlauf die Stimmung verhageln lasse, wechsle ich vielleicht einfach die Seiten und werde – entweder deutscher oder ungarischer – Erfolgsfan.

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Sebastian Ostritsch EM2024 Migranten

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