Warum muss das jetzt sein? Ich stöhne innerlich auf. Der 100-Dollar-Schein, mit dem ich im Restaurant bezahlen will, hat einen kleinen Riss. Was in Deutschland nicht weiter schlimm ist, ist hier im Libanon ein Problem. Sobald eine Banknote hier auch nur den kleinsten Defekt hat, wird kein Geschäft, Restaurant oder Wechselbüro sie noch akzeptieren.
Im Moment habe ich tatsächlich keinen kleineren Schein mehr dabei. Eine Freundin zahlt für mich, den 100-Dollar-Schein muss ich wohl mit nach Deutschland nehmen und dort zurücktauschen, um mit dem Geld wieder etwas anfangen zu können.
Kurz bevor ich abreise, gebe ich mein gesamtes restliches Bargeld an die Schwestern des Klosters, in dem ich einige Wochen gelebt habe. Nur 25 Dollar für den Weg zum Flughafen und den defekten 100-Dollar-Schein, mit dem ja auch die Schwestern leider nichts anfangen können, behalte ich in meinem Portemonnaie.
Ich habe mein großes Gepäck schon aufgegeben und bin fast am Ende der Sicherheitskontrolle am Beiruter Flughafen, als der Beamte am letzten Schalter vor der Duty-Free-Shopping-Zone auf meinen Pass schaut und mich in ein Nebenzimmer beordert. „Sie haben kein gültiges Visum“, sagt mir die Dame dort vorwurfsvoll. „Es ist vor zwei Monaten abgelaufen.“
Am Ende ein Deal mit geldhungrigen Taxifahrern
Ups. Ich hatte mich schon gewundert, warum ich in dem Büro, in dem ich vor gut zwei Monaten mein Visum verlängern wollte, nach einem Verweis auf eine, wie ich fand, lächerlich kleine Gebühr am Flughafen, so schnell weggeschickt wurde. Jetzt werde ich zur General Security geschickt und merke, dass ich die Dame damals wohl einfach falsch verstanden hatte. 4,9 Millionen Libanesische Pfund muss ich zahlen, wenn ich den korrekten Visumsstempel möchte, den ich zum Ausreisen brauche. Das sind ungefähr 55 Dollar. Ich habe aber nur noch die 25 und den kaputten Schein.
Der Beamte ist wirklich nett, fragt, ob ich nicht Freunde in der Nähe hätte. Aber es ist halb sechs am Morgen und meine Freunde wohnen, falls sie meinen Anruf überhaupt sehen würden, eine dreiviertel Stunde entfernt. Das Wechselbüro akzeptiert wie erwartet meinen Schein ebenfalls nicht, die Bank hat noch geschlossen, eine Kreditkarte habe ich auch nicht. Gemeinsam mit zwei Kollegen versucht der General-Security-Beamte, meinen Schein möglichst unauffällig mit Tesa zu reparieren – man muss die Libanesen einfach mögen. Aber es funktioniert nicht.
Schließlich bleibt nur eine letzte Möglichkeit, ein Deal mit den immer geldhungrigen Taxifahrern. Am Ende habe ich 100 gegen 70 Dollar getauscht, einen gültigen Visumsstempel im Pass und bin pünktlich zum Boarding an meinem Gate.
Gott hat wirklich ein Herz für Details
Und dann muss ich schmunzeln. Gott hat wirklich ein Herz für Details. Der kleine Riss, der mich zuerst geärgert und wegen dem ich dann den Schein nicht bei den Schwestern gelassen habe, war am Ende meine Ausreiserettung.
Annalia Machuy ist Sonderpädagogin und 27 Jahre alt. Sie hat im Libanon Land und Leute und Gottes Vorsehung lieben gelernt.
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