Die Skandalsaga um Marko Rupnik ist um eine neue Episode reicher. Der erfolgreiche Mosaikkünstler und Priester Rupnik steht unter Verdacht, in den 1980ern und 1990ern mehrere geweihte Frauen in einer von ihm betreuten Gemeinschaft in Slowenien geistlich und sexuell missbraucht zu haben. Restlos aufgeklärt ist der Fall aber bis heute nicht. Die üblichen Vertuschungsmechanismen griffen zu lange noch zu gut. Erst als der internationale Druck groß genug wurde, hob Papst Franziskus die Verjährungsfrist auf und ebnete damit den Weg für ein kanonisches Verfahren gegen Rupnik.
Den Vatikan hält dies aber offenbar nicht davon ab, digitale Reproduktionen von Rupniks Kunst weiterhin im Netz zu nutzen. Es ist aber weniger diese an sich bereits heikle und wenig kluge Praxis – im Netz ließen sich ja leicht andere Bilder verwenden –, die für die neue Empörungswelle gesorgt hat, sondern vielmehr die taktlose Verteidigung dieses Vorgehens durch Paolo Ruffini, den Präfekten des vatikanischen Kommunikations-Dikasteriums.
Angesprochen wurde Ruffini auf die Verwendung der Rupnik-Bilder am vergangenen Freitag im Rahmen einer Fragerunde einer katholischen Medienkonferenz in Atlanta. Ruffinis Rechtfertigung lautete: Es gehe ja nicht um den Missbrauch von Minderjährigen. Auch würden keine neuen Fotos, sondern nur die bereits vorhandenen Bilder verwendet. Auf die Nachfrage, welche Botschaft sein Dikasterium damit an die Opfer von Missbrauch und dessen Vertuschung senden würde, antwortete der Präfekt mit der schroffen Gegenfrage: „Denken Sie, dass ich den Opfern näher bin, wenn ich ein Foto eines Kunstwerks von unserer Webseite nehme?“
Caravaggio war ein Mörder
In der Tat kann die katholische Reaktion auf den Rupnik-Skandal, selbst wenn sich die bisher sehr glaubwürdigen Anschuldigungen durchweg bewahrheiten sollten, nicht in einem Bildersturm bestehen. Die Werke Rupniks zieren zahlreiche Gotteshäuser weltweit, die nicht aufgrund der moralischen Verkommenheit des Künstlers demoliert werden dürfen. Denn auch bei religiöser Kunst ist zwischen Werk und Künstler zumindest in der folgenden Hinsicht zu trennen: Die Schönheit der Kunst ist nicht abhängig von der sittlichen Reinheit des Künstlers. Caravaggio ließ nicht nur Prostituierte für seine Heiligenbilder Modell stehen, sondern war sogar selbst ein Mörder. Seine Gemälde deshalb in religiösen Kontexten zu verbieten, wäre aber absurd. Auch wenn künstlerisch natürlich Welten zwischen Caravaggio und Rupnik liegen, gilt prinzipiell für beide, dass die Kunst nicht für die Sünden des Künstlers bestraft werden darf.
Und dennoch gibt es zwei entscheidende Besonderheiten im Fall Rupnik: Erstens ist Rupnik ein Priester, der während der größten öffentlichen Missbrauchskrise der Kirchengeschichte schwerer sexueller Vergehen beschuldigt wird. Zweitens sind sowohl Rupnik als auch seine mutmaßlichen Opfer noch am Leben. Die Zeit heilt bekanntlich (fast) alle Wunden, indem sie Distanz zum Geschehenen schafft. Daher blicken wir heute anders und sanfter auf den Mörder Caravaggio, als wenn er unser Zeitgenosse wäre.
Dennoch hätte es keinen Bildersturm gebraucht, um den aktuellen Skandal zu verhindern, sondern nur kluge Kommunikation und Taktgefühl: „Selbstverständlich werden wir aus Rücksicht auf mögliche Opfer online bis auf Weiteres darauf verzichten, die Kunst Rupniks zu zeigen.“ Mit einem solchen einfachen Satz hätte Ruffini dem sich aufdrängenden Eindruck entgegenwirken können, dass man im Vatikan bis heute nicht begriffen hat, wie dringend notwendig es ist, den Opferschutz vor den Täterschutz zu stellen.
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